München/Swisttal, den 27.2.2007
O F F E N E R B R I E F
an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages
Sehr geehrte Frau Abgeordnete,
sehr geehrter Herr Abgeordneter!
In wenigen Tagen haben Sie zu entscheiden, ob deutsche Tornadomaschinen nach
Afghanistan verlegt werden sollen, um besonders den Kampf der Bodentruppen im
Süden und Süd-Osten des Landes zu unterstützen. Als aktive und
ehemalige Offiziere und Unteroffiziere aller Teilstreitkräfte der Bundeswehr,
die sich seit 1983 im Arbeitskreis DARMSTÄDTER SIGNAL zusammengeschlossen
haben, hoffen wir sehr, dass Sie auch einem bis 13.10. dieses Jahres befristeten
Kampfeinsatz der Recce-Tornados nicht zuzustimmen.
Begründung:
- Es handelt sich unzweideutig um einen Kampfeinsatz, denn jede militärische
Aufklärung ist Teil des Kampfes der verbundenen Waffen, am Boden wie
in der Luft.
- Die bewusst irreführende Behauptung, es handele sich nur „um
abbildende Aufklärung und Überwachung aus der Luft sowie Auswertung“
soll bei Ihnen und in der deutschen Öffentlichkeit verdrängen, dass
die zur Kampfvorbereitung und -führung besonders geeigneten Recce-Tornados
(wie im Luftkrieg gegen Jugoslawien) unmittelbar am Kampfgeschehen am Boden
beteiligt sind. Das von den Recce-Tornados gelieferte Bildmaterial wird, wenn
immer möglich, unverzüglich und direkt zur Bekämpfung des Gegners,
der Taliban, durch Bodentruppen oder nachfolgende Kampfjets der Verbündeten
für den Kampfeinsatz genutzt.
- Wenn diese unmittelbare Kampfunterstützung durch deutsche Recce-Tornados
nicht vorgesehen wäre, dann könnten die dort kämpfenden Verbände
auf die vorhandene raumgestützte US-Sattelitenaufklärung allein
zurückgreifen. Offensichtlich aber handelt es sich um den Versuch, Deutschland
in die Verantwortung für eine gescheiterte Kriegführung gegen die
Taliban hineinzuziehen.
- Natürlich werden die Taliban und ihre Verbündeten die deutschen
Recce-Tornados als Feindmaschinen bewerten und ihrerseits versuchen, sie mit
Boden-Luft-Raketen zu vernichten. Zwangsläufig werden die deutschen Tornadobesatzungen
den sie bedrohenden Feind mit ihren Bordwaffen auszuschalten versuchen.
- So werden Deutschland und die deutsche Bundeswehr - besonders auf Druck
der USA - immer tiefer in das Kampfgeschehen hineingezogen mit dem Risiko,
eher früher als später - und wieder unter dem Druck der betroffenen
NATO-Partner - auch am Boden Kampf- und Kampfunterstützungsleistungen,
also voll ausgerüstete Bodentruppen, zur Verfügung zu stellen.
- Unabhängig von diesen Risiken und ihren Folgen stellen wir als Soldaten
die Wirksamkeit der Recce-Tornado-Einsätze in Frage, weil die aufgeklärten
Ziele, kleine Kampftrupps und –gruppen, in der Regel wenige Minuten,
nachdem sie aufgeklärt wurden, in dem unübersichtlichen, überwiegend
zerklüfteten Gelände untergetaucht sind.
- Die politisch getrennten Ziele des Wiederaufbaus Afghanistans und die Bekämpfung
regierungsfeindlicher Organisationen und Gruppen, auf die die Bundesregierung
bisher zu Recht Wert gelegt hat, sind bereits so weit vermischt, so dass sich
schon jetzt die Sicherheitslage in Kabul wie auch im Einsatzgebiet der Bundeswehr
im Norden drastisch verschlechtert hat. Viele unserer in Afghanistan eingesetzten
Kameraden haben inzwischen große Zweifel, ob ihr derzeitiger riskanter
Einsatz für Afghanistan Frieden bringen kann. Alles spricht dafür
anzunehmen, dass die Fortsetzung der bisherigen Politik kriegsähnliche
Krisen und Kampfsituationen, und die damit verbundenen Menschenopfer auf allen
Seiten, wie im Irak so auch in Afghanistan, hervorbringt.
- Die Zukunftsperspektiven für die Mehrzahl der Bevölkerung Afghanistans
haben sich zunehmend verschlechtert, deshalb bekommen die Gegner der Zentralregierung
in Kabul und deren ausländische Unterstützer immer mehr Zulauf.
Die einzige Chance, diese Entwicklung vielleicht noch zu stoppen und zurückzudrehen
besteht darin, eine „Groß-Offensive des zivilen Aufbaus und der
Entwicklungsförderung für Afghanistan“ unverzüglich zu
beginnen, damit die Menschen im Land wieder Hoffnung in die Zukunft haben!
Sehr geehrte Frau Abgeordnete,
sehr geehrter Herr Abgeordneter,
deshalb fordern wir Sie mit Nachdruck auf:
- Lehnen Sie den Kampfeinsatz der deutschen Recce-Tornados in Afghanistan
ab!
- Drängen sie die Bundesregierung, gemeinsam mit unseren europäischen
Partnern, einen gemeinsamen, schrittweisen Abbau der Truppen einzuleiten und
- gemeinsam sofort eine „Groß-Offensive des zivilen Aufbaus und
der Entwicklungsförderung für Afghanistan“ für alle Landesteile,
besonders auch die Randzonen, „in Angriff zu nehmen“. Die Maßnahmen
sollten, soweit erforderlich, auch in Abstimmung mit den Interessen der Nachbarländer
verwirklicht werden.
Nur so besteht noch eine Chance, den Menschen beiderseits des Hindukusch zu
helfen!
Für den Arbeitskreis DARMSTÄDTER SIGNAL:
Oberstleutnant a.D. Helmuth Prieß
Hauptfeldwebel Christiane Ernst-Zettl
Oberstleutnant Dipl.Päd. Jürgen Rose