O F F E N E R B R I E F

an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages

Sehr geehrte Frau Abgeordnete,
sehr geehrter Herr Abgeordneter!

Der Verlauf der Bundestagsdebatte am 29.02. und die Stellungnahmen des Bundesaußenministers Frank-Walter Steinmeier und des Verteidigungsministers Franz-Josef Jung bestärken uns, Sie erneut nachdrücklich zu bitten, auch einem zeitlich begrenzten Einsatz von Recce-Tornados in Afghanistan nicht zuzustimmen.

Begründung:

  1. Wider besseres Wissen behauptet Verteidigungsminister Jung, es handele sich nur um Aufklärung. Als erfahrene aktive und ehemalige Offiziere und Unteroffiziere der Bundeswehr stellen wir fest, dass die militärische Aufklärung ein wichtiger Teil des integrierten militärischen Kampfes ist. Die Aufklärungsergebnisse sollen sofort ausgewertet werden und den Kampf der Bodentruppen und der Jagdbomber direkt unterstützen.
  2. Diese neue Qualität des deutschen Engagements bindet und zieht uns immer tiefer in das Kampfgeschehen ein; Forderungen nach dem Einsatz deutscher Bodentruppen - aus Solidarität - im Süden und Osten werden folgen. Stattdessen sollten wir in Kooperation mit den anderen NATO-Ländern mit der Planung des schrittweisen Abbaus der Truppen beginnen.
  3. Der Kampfeinsatz der Recce-Tornados verschlechtert die ohnehin brüchige Sicherheit aller „Helfer“, besonders der Soldaten des deutschen ISAF-Kontingents. Deutschland verlässt seine neutrale Helferrolle und wird in den Augen der Taliban-Glaubenskrieger - aber auch in der Bevölkerung - zu den „Kreuzrittern“ gezählt, wie BND-Chef Ernst Urlau vor wenigen Tagen feststellte. Deutsche Soldaten rücken in das Fadenkreuz der Terroristen!
  4. Die angelaufene Großoffensive der eingesetzten ISAF- und Enduring Freedom-Verbände, je nach Interessenlage mal groß, mal klein geredet (Minister Jung spricht vom „Schutz eines Staudammes“/Spiegel Online-Interview vom 7.3.), führt in eine Sackgasse. In jedem z.B. von US-Soldaten „durchkämmten“ Dorf, steigt in der Bevölkerung die Sympathie für die Taliban. Die den Kampfeinheiten angeblich unmittelbar folgenden Aufbauhilfen können wie angekündigt nicht stattfinden - es wird sich kaum jemand finden, der im rückwärtigen Kampfgebiet derartige „Himmelfahrt-Arbeiten“ übernimmt!
  5. Die Recce-Aufklärungsergebnisse werden die bei US-Soldaten besonders vorhandene „Fähigkeit“ nicht mindern, die Zivilbevölkerung unverhältnismäßig unter Beschuss zu nehmen, Hochzeitsgesellschaften nicht ausgenommen.
  6. Viele Militärs bezweifeln die Wirksamkeit der Recce-Aufklärungsflüge, da in der Kampfzone keine Truppenbewegungen stattfinden, sondern kleine Trupps der Taliban selbst nach ihrer Aufklärung direkt wieder „vom Boden verschwinden“.
  7. Die Tornadobesatzungen müssen mit Beschuss rechnen und sind daher ständig in Bereitschaft, Ihre Waffensysteme einzusetzen. Damit greifen sie zu ihrem Schutz unmittelbar in das Gefecht ein.
  8. Die von Außenminister Steinmeier beschworene „Solidarität“ und der „lange Atem bei der Bekämpfung des Terrorismus“ müssen da enden, wo nationale Unvernunft gefordert wird!
    Die Erfolglosigkeit der militärlastigen Afghanistan-Strategie ist erkennbar. Die Sicherheitslage verschlechtert sich seit Monaten im ganzen Land; zunehmende Selbstmordattentate in Kabul und auf den amerikanischen Vizepräsidenten Dick Cheney in Bagram sind deutliche Signale! Deutsche Soldaten verlassen nur noch in gepanzerten Fahrzeugen ihre Camps! Aufbauhilfen bei der Justiz und der Polizei wurden nur halbherzig geleistet, die Reduzierung des Mohnanbaus nicht einmal ernsthaft versucht. Die Bundesregierung gibt 420 Millionen Euro jährlich für den Bundeswehreinsatz aus, für den zivilen Aufbau nur 1/5 davon!
  9. Afghanistan braucht statt einer und folgender Militäroffensiven eine „Groß-Offensive des zivilen Aufbaus und der Entwicklungsförderung“!
  10. Die Bevölkerung Afghanistans braucht eine Perspektive der zivilen Entwicklung - nur so kann den Terroristen der Boden entzogen werden!


Sehr geehrte Frau Abgeordnete,
sehr geehrter Herr Abgeordneter!

Wenn Sie jetzt beschließen, dass Deutschland unverzüglich die Spitzenposition unter den NATO-Ländern bei den finanziellen und personellen Hilfen für den zivilen Wiederaufbau und den Umbau der Landwirtschaft (u.a. Abbau des Opiumanbaus) einnimmt, dann können Sie auch beschließen, den Weg in die militärische Sackgasse zu unterlassen!

Wir Soldaten bitten Sie: Lehnen Sie den Recce-Tornado-Einsatz ab!!

Für den Arbeitskreis DARMSTÄDTER SIGNAL:

Oberstleutnant a.D. Helmuth Prieß
Hauptfeldwebel Christiane Ernst-Zettl
Oberstleutnant Jürgen Rose