Krisenbewältigung im 21. Jahrhundert
Nächste Termine
Derzeit keine Termine festgelegt...
Unser Grundsatz
Der Arbeitskreis respektiert die Rolle der Bundeswehr als Bestandteil der Verteidigung unserer demokratisch verfassten Gesellschaft auf der Basis des Grundgesetzes und des Völkerrechts.
Wir begleiten kritisch die Politik hinsichtlich des Auftrags der Streitkräfte, deren Bindung an Moral und Gesetze, die Umsetzung des Staatsbürgers in Uniform sowie nichtmilitärische Alternativen der Konfliktbewältigung.
In ihrem lesenswerten Beitrag „Im Nebel navigieren: Krisenbewältigung im 21. Jahrhundert“ weist Dr. Almut Wieland-Karimi, Direktorin des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze, auf die zunehmende Komplexität der Konfliktursachen und deren vielfältige ethnische, religiöse, soziale, wirtschaftliche und ökologische Wurzeln hin. Friedenssicherung dürfe sich nicht nur auf das Militärische fokussieren, mehr denn je seien zivile Expertise und stärkere Krisenprävention gefordert.
Dr. Almut Wieland-Karimi ist seit 2009 Direktorin des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze (ZIF). Zuvor war sie viele Jahre international für die Friedrich-Ebert-Stiftung(FES) tätig, zuletzt als Leiterin des Landesbüros für die USA und Kanada mit Sitz in Washington, DC. Von 2002 bis 2005 baute sie die Repräsentanz der Stiftung in Kabul (Afghanistan) auf und initiierte dort zahlreiche Programme zur Förderung zivilgesellschaftlicher und parlamentarischer Strukturen. Sie ist Mitglied im internationalen Beirat des United Nations Institute for Trai-ning and Research (UNITAR) und der Führungsakademie der Bundeswehr.
Der Artikel steht hier als PDF zum Download bereit: wieland-karimi_krisenbewaltigung-im-21-jhdt
Im Nebel navigieren: Krisenbewältigung im 21. Jahrhundert
Heute leben wir in einem multipolaren Zeitalter, in dem sich ein neuesglobales Gefüge erst noch zurechtrütteln muss. Es gibt nicht mehr nur eine oder zwei Großmächte, sondern mit dem Erstarken der Schwellenländer sind eine Reihe kleinerer regionaler Machtzentren entstanden. Und damit einhergehend auch neue, konkurrierende Vorstellungen von globaler (Macht-)Politik.
Die Welt ist sehr viel komplexer geworden. Wir kommen daher nur noch begrenzt wei-ter mit den sicherheitspolitischen Instru-menten der Vergangenheit. Denn während manche Staaten wirtschaftlich und militärisch erstarken, sind andere akut von Zerfall bedroht. Infolgedessen leben 1,5 Milliarden Menschen in fragilen Staaten, die von inneren Konflikten und Gewalt beherrscht werden. Fragile Staaten wer-den eine große Herausforderung für die internationale Sicherheit im 21. Jahrhundert bleiben. Jüngste Beispiele hierfür sind die Zentralafrikanische Republik, Mali und der Südsudan. Vom verheerenden Bürgekrieg in Syrien einmal ganz zu schweigen.
Die internationale Gemeinschaft – aber auch ganz konkret deutsche Außenpolitik – muss auf diese Veränderungen reagieren. Sie muss sich besser aufstellen, um den zentralen Faktoren zu begegnen, die unsere Sicherheit in der Zukunft beeinflussen werden. Da geht es insbesondere um die Folgen der Klimaveränderung, um Migraton, die Zunahme von autoritären Systemen, um die Auflösung von Grenzen, um asymmetrische Kriegsführung und um nichtstaatliche Gewaltakteure, wie etwa den Islamischen Staat oder Boko Haram.
Das Bewusstsein für die Komplexität der Konfliktursachen wächst. An dieser Stelle wurde auch schon in der letzten Ausgabe vom Review2014-Prozess des Auswärtigen Amtes berichtet und dem Weg zu einem neuen Weißbuch 2016. Auch international laufen aktuell verschiedene Prozesse, die den Werkzeugkasten für Frieden, Entwick-lung und Sicherheit genauer beleuchten und fit für die Zukunft machen möchten (siehe auch ZIF kompakt, Januar 2015).
Frieden und Sicherheit sind wie siamesische Zwillinge. In der Vergangenheit war Friedenssicherung zu sehr auf das Militärische fokussiert – eine Ansicht, die übrigens auch die allermeisten Militärs teilen. Streitkräfte können zwar die physische Sicherheit wiederherstellen, aber um die Konfliktursachen zu beheben und nachhaltige Sicherheit durch funktionierende Institutionen zu schaffen, braucht es zivile Expertise. Heute sind deshalb die meisten Friedenseinsätze multidimensional, das heißt vor Ort arbeiten Soldatinnen und Soldaten, Polizistinnen und Polizisten und zivile Expertinnen und Experten.
Das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) vermittelt im Auftrag der Bundesregierung solche zivilen Expertinnen und Experten für internationale Einsätze. Das sind beispielsweise Richter, Staatsanwälte, Strafvollzugsbeamte, Ingenieure und Politikwissenschaftler, also Menschen, die das Know-how haben, um beim Aufbau einer funktionierenden Verwaltung, Justiz und Infrastruktur zu helfen. ZIF-Experten arbeiten weltweit in ca. 40 Missionen, darunter auch einige mit reinem Beobachtungsauftrag. In die Ukraine zum Beispiel hat das ZIF sogenannte Monitore entsendet, also zivile Experten, die über die Lage vor Ort an die OSZE berichten. Sie sind unsere Augen und Ohren in dieser Krisenregion.
Trotz der zunehmenden Komplexität werden Friedensmissionen das Instrument für die Konfliktbewältigung der Zukunft bleiben, weil sie multilateral und multidimensional sind. Daher gibt es zu den Vereinten Nationen als Stabilitätsanker keine Alternative. Sie sind die einzige Organisation, in der alle 193 Staaten des Planeten Mitglied sind. Gleichzeitig müssen wir die Grenzen dieser Einsätze ehrlich anerkennen. Eine dieser Grenzen ist die Abhängigkeit der Mission von der Regierung des Einsatzlandes. Jede internationale Organisation – seien es die Vereinten Nationen, die Europäische Union oder die Afrikanische Union – muss bei einem innerstaatlichen Konflikt mit der Regierung vor Ort ein Abkommen schließen, damit sie in diesem Staat eine Friedensoperation überhaupt durchführen darf.
Schauen wir aktuell auf Syrien, wird klar, dass es offensichtlich mit Präsident Assad keinen Konsens gibt. Außerdem gibt es eine Blockade im Sicherheitsrat. Aber selbst wenn wir ein Mandat für Syrien hätten, nützte dies nichts, weil die Grenze zum Irak in der Realität nicht mehr vorhanden ist. Auch in Afghanistan ist das seit langem ein zentrales Problem, denn das Rückzugsgebiet der Taliban und anderer extremistischer Gruppierungen liegt nicht in Afghanistan, sondern im angrenzenden Pakistan.
Eine weitere Herausforderung ist die enorme Komplexität solcher Konflikte, die meist aus einem Geflecht von ethnischen, religiösen, sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Wurzeln entstehen. Außerdem schüttelt sich die verändernde internatio-nale Ordnung mit tektonischen Verschiebungen zurecht und machtpolitische Interessen werden neu definiert und durchgesetzt. Dieses Geflecht in Kombination mit internationaler Interessenspolitik ist kaum zu durchschauen. In Anbetracht dieser Komplexität und der begrenzten Mittel, die zur Konfliktbewältigung zur Verfügung stehen, ist eine gewisse Demut angesagt. Und ein langer Atem. Konfliktursachen konsequent aufzuarbeiten dauert Zeit, kostet viel Geld und ist sehr mühsam.
Daher ist die Bilanz vergangener Friedenseinsätze durchwachsen. Woran wir immer wieder scheitern, ist die Frage nach einer klaren Zielsetzung. In Afghanistan zum Bei-spiel gab es vor allem in den USA diejenigen, die das Eingreifen als militärisch geführte Counterinsurgency (Aufstandsbekämpfung) verstanden: als Kampf gegen al-Qaida und Taliban als Reaktion auf den 11. September 2001. Dann gab es aber eine ganz andere Fraktion, für die der Schwerpunkt auf zivilem Peacebuilding lag, also der nachhaltigen Entwicklung und dem Aufbau politischer Institutionen. Ein klarer Zielkonflikt: Wenn ich in einem Dorf Counterinsurgency mache und gleichzeitig versuche, dort ein Peacebuilding-Projekt aufzusetzen, funktioniert das nicht
Es steht zu befürchten, dass in Afghanistan die Krise langfristig zum Normalzustand wird. Die Konflikte der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen werden nicht per Kompromiss gelöst, sondern mit der Waffe ausgetragen. Beim Wiederaufbau hat es zwar sehr große Fortschritte gegeben, aber vor allem in den Städten, während auf dem Land nach wie vor ein massiver Nachholbedarf besteht. Besonders brisant ist die Lage im Sicherheitssektor. Die Ent-wicklung der afghanischen Armee und der Polizei steckt in den Kinderschuhen und hat auch viele Geburtsfehler: Quantität ging zu lange vor Qualität. Die fast 400.000 Sicherheitskräfte im Land können aus dem aktuellen Steueraufkommen überhaupt nicht finanziert werden – nachhaltige Planung sieht anders aus.Und last but not least: Afghanistans geostrategisch wichtige Lage zwischen Zentral- und Südasien, neben China, Pakistan und Iran hat zur Folge, dass auch dort die regionalen und internationalen Einflusssphären neu definiert und erkämpft werden.
Eine weitere große Herausforderung sind unterschiedliche Zeithorizonte: Politik in der modernen Mediendemokratie hat grundsätzlich hat keinen langen Atem. Gleichzetig wissen wir, dass es mindestens eine Generation benötigt, um einen Postkonflikt-Staat auf eigene Füße zu stellen. Es braucht Zeit bis das Militär aus der Politik gedrängt, Korruption abgebaut und eine funktionierende Verwaltung aufgebaut ist. Zugespitzt formuliert: Eine funktionierende Demokratie bringt Sicherheit, aber der Weg dahin ist mit Sicherheitsrisiken gepflastert.
Wir können und müssen daher auch schon viel früher im Konflikt-Zyklus ansetzen. Krisenprävention muss weiter gestärkt werden. Und die entsprechenden Umstrukturierungen im Auswärtigen Amt sind hierfür ein wichtiger und begrüßenswerter Baustein. Wir leben in einer Mediengesellschaft und Prävention findet bisher kaum mediale Beachtung – stattdessen gleicht die Berichterstattung einem „Krisen-Hopping“: heute Südsudan, morgen Syrien, übermorgen die Zentralafrikanische Republik.
Dabei wissen UN, EU und insbesondere einzelne Mitgliedsstaaten oft weit vor Ausbruch einer Krise, dass es ein Konfliktpotenzial gibt. Mali ist ein Beispiel dafür. Beobachter vor Ort haben über Monate gewarnt, dass der Norden des Landes nicht mehr zu kontrollieren sei. Eingegriffen wurde aber erst, als die islamistischen Gruppen auf Bamako zumarschiert sind.
Es ist schwer auszuhalten, aber auch in den nächsten Jahren wird die Komplexität der Konflikte und ihrer Ursachen eher zu-als abnehmen. Zu vermuten ist auch, dass ihre Anzahl wachsen wird, wobei nicht die absolute Anzahl von Kriegstoten gemeint ist, sondern die Anzahl von Konfliktherden. Wir werden weiter im Nebel navigieren müssen, klare Konturen sind nicht zu erkennen. Nichtsdestotrotz ist das internationale Eingreifen, um Konflikt einzudämmen, Menschenleben zu schützen und bessere Lebensumstände in Krisenländern zu schaffen, alternativlos.
Quelle und Genehmigung: Newsletter Ak Sicherheit und Bundeswehr, NRW SPD, Ausgabe 03/2015
Foto: A feale doctor with the international Medical Corps, UK Department for International Development at Flickr under CC-License.
Veröffentlicht von mwengelke am Samstag, August 29th, 2015 @ 4:07PM
Kategorien: Meldungen