Nachlese zum Seminar über Innere Führung
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Unser Grundsatz
Der Arbeitskreis respektiert die Rolle der Bundeswehr als Bestandteil der Verteidigung unserer demokratisch verfassten Gesellschaft auf der Basis des Grundgesetzes und des Völkerrechts.
Wir begleiten kritisch die Politik hinsichtlich des Auftrags der Streitkräfte, deren Bindung an Moral und Gesetze, die Umsetzung des Staatsbürgers in Uniform sowie nichtmilitärische Alternativen der Konfliktbewältigung.
Beim Seminarwochenende des Arbeitskreises Darmstädter Signal, vom 11. bis 13. September 2015 in Königswinter, diskutierten über 45 Teilnehmer zum Thema „Selbstverständnis und Führungskultur der Bundeswehr“. Das Seminar fand in Kooperation mit der Stiftung Christlich Soziale Politik und dem Bonner Bildungswerk für Friedensarbeit statt.
Der Inneren Führung mit ihrem Prinzip des Staatsbürgers in Uniform widmeten sich die Signaler vor allem, weil ein Buch studierender Offiziere der Bundeswehruniversität Hamburg in alarmierender Weise darauf schließen ließ, dass die Umsetzung des Bundeswehrprinzips noch immer keine Selbstverständlichkeit ist, sondern regelmäßiger Überprüfung bedarf. Da das Thema im aktuell laufenden Prozess für ein neues Weißbuch erwartbar wenig Raum erhält, war das Ziel des Seminars auch ein Beitrag für das Weißbuch 2016. So schlagen wir in unserer Pressemitteilung „Baudissins Vermächtnis bewahren!“ dem Verteidigungsministerium vor, dem Deutschen Bundestag, innerhalb eines Jahres nach der Vorlage des Weißbuches, ein umfassendes Konzept zur Stärkung der Inneren Führung zu unterbreiten.
Zum nun dritten Mal war Oberstleutnant i.G. Dr. Buch, Bundesvorsitzender für die Luftwaffe im Deutschen Bundeswehrverband, zu Besuch und referierte zur personellen Ausgangslage, den derzeitigen Trends und Herausforderungen und zur Attraktivität als Antwort auf die Probleme der Bundeswehr.
Demnach war vieles im Jahr 2015 innerhalb der Bundeswehr für die Soldaten unattraktiv. Vom derzeitigen Personalstrukturmodell (PSM 185) ausgehend, das einen Personalumfang von 185.000 Soldaten, bestehend aus 120.000 Zeitsoldaten, 50.000 Berufssoldaten und 15.000 Freiwilligen zuzüglich 55.000 Zivilen umfasst, rechnete Buch einen personellen Einstellungsbedarf von 24.000/Jahr vor. Zur Rekrutierung und „Bestenauslese“ benötigt die Bundeswehr also 72.000 Bewerber (um einen aus drei einzustellen). Mit erwarteten Geburtsjahrgängen von 625.000 Kindern müsste sich also jeder Achte eines Jahrgangs bewerben. Aufgrund der unterproportionalen Frauenquote folgt daraus, dass zukünftig jeder 5. bis 6. eines Geburtsjahrgangs sich bei der Bundeswehr bewerben müsste, um die Quoten des Modells zu erfüllen. Während den derzeitigen im zivilen Bereich sehr guten Berufschancen eine unrealistische Annahme. Oberstleutnant Buch zur Folge seien vor allem die zunehmende Individualisierung, die schlechter werdende physische Leistungsfähigkeit nachfolgender Generationen und die zunehmende Abneigung gegen Militäreinsätze und Gewalteinsatz Schuld am Problem der deutschen Streitkräfte. Zur schlechten inneren Lage, Unzufriedenheit und Demotivation kämen schließlich die höheren Anforderungen des Soldatenberufs, die den gesellschaftlichen Tendenzen diametral gegenüberstünden, noch hinzu. Eine höhere Frauenquote wäre für Buch ein Teil der Lösung, aber auch eine bessere Vergleichbarkeit der bundeswehrinternen Diensttätigkeiten mit zivilen Berufen, um das Wechseln zwischen ziviler und militärischer Welt besser zu ermöglichen. Langfristige Personalbindung und eine Flexibilisierung der Einstellungsregeln seien ebenso wichtig wie die Verbesserung des Betriebsklimas, wofür die breite Akzeptanz der Inneren Führung maßgeblich benötigt werde. Der Wegfall der Wehrpflicht ist laut Buch nur schwer zu ersetzen.
Download PowerPoint-Folien von Oberstleutnant i.G. Buch:
2015-09-12_Buch_fuer_Veroeff.pdf
Mit dem Thema „Die Wiederkehr des Heldenkults und das Ende der Inneren Führung“ trug Oberstleutnant a.D. Jürgen Rose über die Entwicklung vor, welche die Konzeption der Inneren Führung mit ihrem Leitbild vom Staatsbürger in Uniform seit dem Ende des Kalten Krieges genommen hat.
In diesem Kontext behandelte er unter anderem bellizistische Tendenzen in Politik und Medien, die ihren Niederschlag unter anderem in der Etablierung eines neuen Heldenkults finden im Gegensatz zu den wesentlichen Elementen der fundamentalen Militärreform Wolf Graf von Baudissins in der Bundesrepublik Deutschland wie dieser sie seiner Konzeption der Inneren Führung und des Staatsbürgers in Uniform zugrundegelegt hatte. Vor allem das aus dem Grundgesetz abgeleitete Friedensgebot stehe dem immer entgrenzteren Einsatzauftrag der Bundeswehr gegenüber. Das seit den ersten Kampfeinsätzen der Bundeswehr gezeichnete Bild der Kämpferkultes als Gegenmodell zur Inneren Führung ließ den Vortragenden dabei fragen ob diese nun ausgedient hat und zukünftig Soldaten als Experten für Kriegführung anstellen von Dienern für den Frieden zu gelten haben. An diese Ausführungen schloss sich eine lebhafte, teils durchaus kontrovers geführte Diskussion an, die sich insbesondere um die Frage drehte, ob und inwieweit die Konzeption Baudissins den neuen sicherheitspolitischen Realitäten angepasst werden sollte und müsste.
Download PowerPoint-Folien und Vortragstext von Jürgen Rose:
2015-09-12_Rose_Folien_Wiederkehr-des-Heldenkults.pdf
2015-09-12_Rose_Vortragstext_Wiederkehr-des-Heldenkults.pdf
Anschließend trug Prof. Dr. Angelika Dörfler-Dierken, Projektleiterin für Innere Führung, Ethik und Militärseelsorge am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) Potsdam aus den Ergebnissen der ersten empirischen Untersuchung zur Umsetzung der Inneren Führung in den Streitkräften vor.
Bei einer repräsentativen Onlinebefragung über das Intranet der Bundeswehr wurden über 7000 Soldatinnen und Soldaten zu ihren Einschätzungen bzgl. der Führungskultur befragt. Über die Hälfte der Befragten hat bereits von der Inneren Führung gehört und konnte sich darunter etwas vorstellen. Dabei war festzustellen, so Dörfler-Dierken, dass die Kenntnis mit dem Dienstgrad zunimmt. Mannschaftssoldaten und Unteroffiziere wussten weniger über die Innere Führung als Offiziere und Stabsoffiziere. Während vor allem Mannschaftsdienstgrade (die die Innere Führung am wenigsten kennen) über gute persönliche Beziehungen zu Kameraden und ihren Vorgesetzten (den Unteroffizieren) berichteten, ist die Zufriedenheit des Führungsstils zwischen Unteroffizieren mit Portepee und jungen Offizieren am schlechtesten. Dies sei der Umfrage zu Folge allerdings strukturell bedingt und eine gute Erklärung für Probleme zwischen Leutnanten, Oberleutnanten und Hauptleuten zu ihren unterstellten und beigestellten Portepeeunteroffizieren. Auslandseinsätze hätten keinen Einfluss auf die Einstellung zur IF. Interessant war vor allem, dass alle Dienstgradgruppen durchweg bei anderen eine schlechtere eigene Einstellung zur IF vermuten als bei sich selbst. Die Wissenschaftlerin konnte sich dieses Ergebnis nur durch eine negative Kommunikation entgegen der eigenen Einstellung erklären. Es scheint also nicht beliebt zu sein, positiv von der Inneren Führung zu sprechen, obwohl man diese selbst schätzt. Zur Verbesserung der Einstellung zur Inneren Führung empfiehlt die Vortragende vor allem mehr Aufmerksamkeit für Unteroffiziere und Mannschaften und eine positivere Kommunikation über das Thema. Vorgesetzte verlieren vor allem das Vertrauen ihrer Untergebenen durch fehlende Handlungssicherheit, Partnerschaftlichkeit und Selbstkritik. Insgesamt wurden die Vorgesetzten in der Umfrage gut beurteilt, weshalb diese vor allem Coaching für junge Führungskräfte fordert. Die Umfrage fordert also von den Menschenführern vor allem mehr Rückgrat und gleichzeitig Einsicht – ähnlich den Forderungen Dr. Klaus Beckmanns in einem späteren Vortrag auf dem Arbeitstreffen. Insgesamt vertrauen mehr als die Hälfte aller Soldatinnen und Soldaten ihren unmittelbaren Vorgesetzten – für die Streitkräfte ein wichtiges Thema! Auch hier urteilt die Wissenschaftlerin zusammenfassend über die Innere Führung: „Sie ist ein Pfund mit dem man wuchern kann. IF ist bekannt, positiv besetzt, im Vorgesetztenverhalten erfahrbar und internalisiert. Beste Voraussetzung für ein vertieftes Verständnis!“
Download Folien und Ergebnisse der empirischen Studie des ZMSBw:
2015-09-12_ZMSBW_Innere-Fuehrung-Empirie_.ppt
Generalmajor a.D. Dr. Dietrich Genschel trug bei einem Impulsreferat zur anschließenden Aussprache mit dem Publikum seine Geschichte mit der Inneren Führung sowie seine Sicht auf das Buch „Armee im Aufbruch“ vor.
Mit seinen 81 Jahren, davon 21 Jahren außer Dienst, fragt er sich auch, welche Auswirkungen die massiven Veränderungen der Bundeswehr seit seiner Dienstzeit auf die Innere Führung haben werden. Das Führungskonzept ist für ihn aber auch selbst nach Ende der Wehrpflicht immer noch ein gültiger und wichtiger Grundsatz für die Bundeswehr, wenn auch vielleicht die neue Einsatzrealität etwas deutlicher eingearbeitet werden könne. Als er das Loyal-Heft mit dem Abdruck des Birkhoff-Artikels aus „Armee im Aufbruch“ las, dachte er sofort an die 70er Jahre: „Jammern um Anerkennung, Maulen um die Innere Führung und Elitebedürfnis“ zuzüglich der Abschaffung der demokratischen Ordnung. „Die haben den Mund ein wenig voll genommen.“ – aber rückblickend war auch Genschel als junger Offizier an seinen eigenen „vollen Mund“ erinnert. Er sieht es als guten Ausdruck gelebter Innerer Führung, dass die Bundeswehr-Universität die Meinungen der studierenden Offiziere nicht dienstlich unterbindet – auch wenn er die teilweise Anonymität nicht gut heißt. Die Autoren werden die Gelegenheit nutzen können, ihre Thesen auch weiterhin zu vertreten und über die Jahre zu modifizieren, so Genschel. Er endete aber nicht ohne einige persönliche Anmerkungen: „Der Titel unterstellt, dass die Bundeswehr erst jetzt in eine neue Situation gestellt worden sei. Ganz verschlafen haben wir die Zeit des Kalten Krieges […] nicht. […] wir waren auf ihn eingestellt.“ Die Belastungen der Soldaten sind seither gewachsen, die Änderungen der Vorschrift haben das bereits berücksichtigt. Zugenommen habe ebenfalls der Primat der Politik (Wir.Dienen.Deutschland.), dem sich auch ein Kampftruppenoffizier nicht entziehen dürfe. Die Innere Führung mit ihrem Staatsbürger in Uniform bleibe Leitbild der Bundeswehr. Die Fähigkeit, aus der zivilen Gesellschaft zu kommen und über die militärische wieder in diese friedliche zu gehen, erfordere von den Soldaten viel Anstrengungen und „Ambiguitätstoleranz“. Nach der Lektüre des Birkhoff-Artikels musste Genschel feststellen, dass hier die politische Bildung versagt hat. Die Autoren „werfen in der Tat den Gedanken vom Staatsbürger in Uniform über den Haufen […]“, jedoch zeigten sie Engagement und wollten Fehlentwicklungen aufdecken, weshalb er hoffe, in ein paar Jahren erneut Beiträge von den Autoren – dann aber weiterentwickelt – zu lesen.
Download Vortragstext Generalmajor a.D. Genschel:
2015-09-12_Genschel_Vortragstext.pdf
Eine Zusammenfassung des Vortrages von Militärpfarrer Klaus Beckmann aus Mayen liegt derzeit leider noch nicht vor.
Die Podiumsdiskussion zum Thema der Tagung „Selbstverständnis und Führungskultur der Bundeswehr“ stellte die Frage, wie es um die Innere Führung und deren Personal stehe. Militärpfarrer Dr. Klaus Beckmann, Hauptmann Martin Böcker als Mitautor des Buches „Armee im Aufbruch“ und Generalmajor Jürgen Weigt, Kommandeur des Zentrums Innere Führung, diskutierten unter der Leitung von Florian Kling über das Seminarthema.
Während Böcker die Zeitgemäßheit der Inneren Führung anzweifelte, weil die Soldaten in die Bundeswehr bereits aus einer stabilen demokratischen Gesellschaft kämen und demokratische Erziehung durch Vorschrift so lange nach dem Krieg nicht mehr notwendig sei, aber auch weil aus dem Auftrag für die Landesverteidigung eine Armee zur Durchsetzung legitimer Sicherheitsinteressen geworden sei. General Weigt begann damit, festzustellen, dass eine Armee nicht nach den eigenen Wünschen aufgebaut werden könne, sondern sich vor allem an der Realität orientieren müsse. Wirtschaftskonzepte ließen sich demnach auch nur bedingt auf die Armee übertragen. Zur Inneren Führung ist für ihn vor allem das Vertrauen wichtig, das aus vorgelebten ethischen Grundsätzen entstehen müsse. Auch der Militärpfarrer berichtete, wie wichtig die Vorbilder aus seiner Sicht seien, folgerte daraus aber keine durchweg positive Bilanz zur Inneren Führung, obwohl deren Ziele so wichtig wie eh und je seien. Die zunehmend individualisierte Gesellschaft ist für Weigt eine Herausforderung für die Führungskultur, während sie für Beckmann die Lösung ist. Für ihn wird eher noch zu wenig „ich“ gesagt – Persönlichkeiten, die Verantwortung übernehmen, seien besonders von Nöten. Böcker kommt zu anderer Auffassung, weil aus der ehemals großen Bundeswehr mit ihrer Wehrpflicht eine Armee mit weniger Standorten und teilweise eine Parallelgesellschaft geworden sei. Von einer „Volksarmee“ wie ein Zuhörer aus dem Publikum sie bezeichnet habe, könne daher keine Rede mehr sein. Unbeantwortet blieb dabei die Frage nach einer möglichen Alternative, die anstelle des bisherigen Konzeptes treten könnte. Dem Militärpfarrer war zuletzt vor allem wichtig, dass jeder Einzelne in allen Hierarchieebenen der Bundeswehr dazu aufgerufen ist, Fragen zu stellen und Kritik anzubringen, statt nur zu nörgeln.
Dass das Darmstädter Signal in diesem Sinn konstruktive Kritik übe, wurde in der abschließenden Seminarkritik durch Dr. Genschel (mit dem Hinweis, dass er das früher anders gesehen habe) sehr positiv hervorgehoben. Dies soll auch künftig unser Bemühen bleiben.
//Alle zusammengefassten Aussagen haben keinen Anspruch auf richtige und vollständige Wiedergabe der jeweiligen Referenten.
Veröffentlicht von mwengelke am Sonntag, September 13th, 2015 @ 6:00PM
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