Warum sich Deutschland nicht an Vergeltungsschlägen gegen Syrien beteiligen darf.

Es spricht einiges dafür, dass eine syrisch-russische Großoffensive auf die Provinz Idlib unmittelbar bevorsteht und damit ein weiterer humanitärer Albtraum für die Menschen in dem geschundenen Land. Führende Unionspolitiker, Teile der Grünen und der FDP unterstützen eine deutsche Beteiligung an einem militärischen Einsatz, sollte Assad Giftgas einsetzen. Norbert Röttgen redet gar schon einem Präventivschlag das Wort. Es ist zudem ein offenes Geheimnis, dass die amerikanische Regierung, nicht zuletzt in Gestalt des US-Botschafter Grenell, Deutschland in die Pflicht nehmen möchte und massiven Druck ausübt. Wahr ist aber auch, dass es bislang weder einen Giftgasangriff, noch eine konkrete Anfrage der USA gibt. Es besteht deshalb auch kein Anlass, Präsident Trump im vorauseilenden Gehorsam unsere Dienste anzubieten. Zumal über den Einsatz deutscher Streitkräfte nicht der amerikanische Präsident, sondern der Deutsche Bundestag entscheidet – autonom und entlang unserer verfassungsrechtlichen Grundlagen, des Völkerrechts und des Parlamentsbeteiligungsgesetzes.

Die Empörung über das skrupellose Vorgehen des syrischen Diktators mit Unterstützung Russlands und des Iran ist ohne Frage gerechtfertigt. Und ganz ohne Zweifel ist der Einsatz von Chemiewaffen ein internationales Verbrechen. Wir tun unser Möglichstes, damit niemand erneut in Idlib oder anderswo diese geächtete Waffe einsetzt. Insbesondere die syrische Regierung, aber auch der IS haben dies laut UN-Recherchen nachweislich in der Vergangenheit getan. Hierfür müssen sie vor dem Internationalen Strafgerichtshof zur Verantwortung gezogen werden. Jenem Gericht, dessen Statut die USA bis heute nicht unterzeichnet und dem sie jüngst gar „den Krieg erklärt“ haben.

Aber das Völkerrecht kennt aus gutem Grund kein Recht auf militärische Vergeltung, schon gar nicht durch einen Staat oder durch eine irgendwie zusammengestellte „Koalition der Willigen“. Das Gewaltverbot ist ein Grundpfeiler der internationalen Friedensordnung. Nur der Sicherheitsrat oder, angesichts seiner Lähmung, unter bestimmten Umständen die Vollversammlung der Vereinten Nationen können, in Anlehnung an die Uniting for Peace-Resolution von 1950, die internationale Gemeinschaft ermächtigen, auch militärisch zu handeln. Solange dies nicht geschieht und damit auch keine völkerrechtliche Legitimation vorliegt, können wir keinem bewaffneten Einsatz deutscher Streitkräfte in Syrien zustimmen. Schon gar nicht angesichts ernst zu nehmender Berichte, wonach ein Staatschef in einer vergleichbaren Situation offensichtlich die Liquidierung politischer Akteure forderte. Natürlich ist und bleibt es ein Problem, wenn der Sicherheitsrat aufgrund eines Vetos nicht in der Lage ist, bei schwersten Menschenrechtsverletzungen und Massenmord einzugreifen. Zu Recht haben deshalb renommierte Völkerrechtler dazu aufgerufen, „verstärkt über die institutionell ‚schonendsten‘ Wege eines behutsamen Rechtswandels nach(zu)denken“, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet. Wenn es uns nicht bald gelingen wird, an vielen Orten der Welt dem Recht des Stärkeren das Recht der Völkergemeinschaft entgegenzusetzen, werden wir Jahrzehnte der Anarchie erleben.

Der Westen hat in den vergangenen Jahren keine vernünftige Antwort auf die Allianz gefunden, die Russland und der Iran mit Assad geschlossen haben.

Die bislang rein hypothetische Debatte über eine deutsche Beteiligung an Militärschlägen gegen die syrische Regierung lenkt zudem von ein paar äußerst unbequemen und bitteren Wahrheiten ab:

Was wir in Syrien erleben, ist ein kollektives Versagen und sich schuldig machen der so genannten „internationalen Gemeinschaft“. Das Land ist zum Spielball geopolitischer Konflikte geworden. Russland, Iran, USA, Israel, die Türkei – alle mischen mit und heizen den Krieg weiter an. Und die Vereinten Nationen und die Europäische Union sehen hilflos zu und können nichts anderes tun, als sich dauerhaft „besorgt“ zu äußern. Der Westen, oder das, was noch von ihm übrig ist, hat in Syrien schlichtweg nichts mehr zu sagen. Russland, Iran und die Türkei bestimmen seit Herbst 2015 endgültig über das Schicksal des Landes.

Zudem wurden, seit Obama 2012 die erste rote Linie gezogen hat, viele rote Linien angekündigt und überschritten. Immerhin: Nach den Chemiewaffeneinsätzen vom März und August 2013 konnte das syrische Regime zum Beitritt zum Chemiewaffenübereinkommen und zur Deklarierung seiner Chemiewaffenbestände bewegt werden. Unter dem Dach der Vereinten Nationen wurden die deklarierten Kampfmittel außer Landes gebracht und anschließend, insbesondere mit deutscher Hilfe, vernichtet. Trotzdem wurden seit 2014 über 30 Einsätze mit chemischen Kampfmitteln gemeldet. Experten der Vereinten Nationen und der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen konnten in den allermeisten Fällen der Assad-Regierung den Einsatz von Giftgas nachweisen, so bei dem verheerenden Chemiewaffenangriff mit über 80 Toten im April 2017 in Chan Scheichun. Es folgten Vergeltungsschläge seitens der USA, Großbritanniens und Frankreichs, die weder Assad noch Putin sonderlich beeindruckt haben, also nicht zu der politisch erhofften Verhaltensänderung geführt haben.

Es ist natürlich legitim, alle möglichen Optionen zu prüfen. Zur Wahrheit gehört aber, dass ein Vergeltungsschlag die Menschen nicht vor Mord oder Vertreibung schützen wird. Die allermeisten der über 450 000 Toten in Syrien sind von Assad und seinen Verbündeten durch Fassbomben und Artillerie umgebracht worden. In Idlib droht nun ein weiteres Morden, auch ohne den Einsatz von Chemiewaffen.

Luftschläge sind kein Ersatz für eine Syrienstrategie, sie sind in der derzeitigen Situation nicht mehr als blinder Aktionismus, der Handlungsfähigkeit simuliert.

Unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Fakt ist, dass Assads Bodentruppen mit russischer und iranischer Hilfe gerade den Kampf gegen die Rebellen gewinnen. Realität ist auch, dass die Lufthoheit in Syrien seit 2015 bei den Russen liegt. Der Westen hat in den vergangenen Jahren keine vernünftige Antwort auf die Allianz gefunden, die Russland und der Iran mit Assad geschlossen haben. Und auch die Europäer waren sich uneinig.

Bemühungen um diplomatische Lösungen haben deshalb nicht nur absolute Priorität, sie sind tatsächlich das einzige Mittel, über das man noch verfügt – so frustrierend dies für alle Beteiligten auch sein mag. Luftschläge sind kein Ersatz für eine Syrienstrategie, sie sind in der derzeitigen Situation nicht mehr als blinder Aktionismus, der Handlungsfähigkeit simuliert.

Was Deutschland und die EU anbieten können, ist Vermittlung auf Grundlage des Völkerrechts und der internationalen Institutionen. Deutschland ist schon jetzt der größte Geber und hat zuletzt auf der Brüsseler Syrien-Konferenz im April 2018 eine weitere Milliarde Euro für Syrien und die Nachbarländer bis 2020 zugesagt. Seit 2012 hat die Bundesregierung bereits Mittel in Höhe von 4,56 Milliarden Euro für die Flüchtlinge in Syrien und den angrenzenden Ländern zur Verfügung gestellt. Die von Putin gewünschte Hilfe beim Wiederaufbau Syriens ist jedoch nur denkbar, wenn Russland eine politische Lösung unter Ägide der Vereinten Nationen unterstützt. Sie muss zudem die Sicherheit und die Rechte von Millionen Syrern garantieren, die vor Baschar al-Assad und russischem Bombardement fliehen mussten.

Bis dahin muss weiterhin mit allen zur Verfügung stehenden diplomatischen Mitteln alles dafür getan werden, um ein weiteres Massaker in Idlib zu verhindern und an einer möglichen Nachkriegsordnung für Syrien zu arbeiten. Ob dies ohne Assad, der zweifelsohne vor den internationalen Strafgerichtshof gehört, möglich sein wird, ist eine offene Frage. Ohne die Beteiligung Russlands und der Türkei wird es jedenfalls nicht gehen. Es ist gut zu wissen, dass der deutsche Außenminister und das Auswärtige Amt, zusammen mit unseren Partnern, unermüdlich und mit größtem Engagement für eine politische Regelung arbeiten. Priorität hat für uns, eine weitere humanitäre Katastrophe in Syrien zu verhindern – mit allen politischen Mitteln.