Jürgen Rose: Kritiker in die Kasernen
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Unser Grundsatz
Der Arbeitskreis respektiert die Rolle der Bundeswehr als Bestandteil der Verteidigung unserer demokratisch verfassten Gesellschaft auf der Basis des Grundgesetzes und des Völkerrechts.
Wir begleiten kritisch die Politik hinsichtlich des Auftrags der Streitkräfte, deren Bindung an Moral und Gesetze, die Umsetzung des Staatsbürgers in Uniform sowie nichtmilitärische Alternativen der Konfliktbewältigung.
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Eine Antwort von Jürgen Rose, OTL a.D., auf Dominik Wullers Beitrag in der Zeit vom 21.11.13: Was glaubt ihr eigentlich, wer wir sind?
Erschienen in der Frankfurter Rundschau vom 11.12.13: Kritiker in die Kasernen!
Hier der Artikel als PDF: Kritiker in die Kasernen
Offiziere werben in Schulen für die Armee. Warum sollen dann nicht auch Kritiker mit jungen Soldaten diskutieren?, fragt Jürgen Rose. Hat die Bundeswehr etwa Angst davor, dass ihr die Argumente ausgehen?
Ein stummer Kaufmann ist wie ein zahnloser Löwe, lautet eine alte Weisheit der Werbebranche. In diesem Sinne will ich Ihnen, lieber Kamerad Dominik Wullers, neidlos konzedieren: Gut gebrüllt, Löwe! Mit einem formidablen Beitrag in der „Zeit“ neulich haben Sie als Jugendoffizier Ihren Auftrag, die Bundeswehr zu verteidigen, professionell erfüllt – ganz so, wie man es von einem gut ausgebildeten Fachmann für Öffentlichkeitsarbeit selbstverständlich erwarten darf.
Sie gestatten mir sicherlich diese Anmerkung, denn ich selbst war vor Jahren an der „Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation“ an der praktischen Ausbildung und psychologischen Schulung von Jugendoffizieren beteiligt, unter anderem bei der Instruktion von Spielleitern für die interaktive Simulation „Politik und Internationale Sicherheit“ (POL&IS), welche Sie und Ihre Kameraden so erfolgreich in der Öffentlichkeitsarbeit mit Schülern und Studierenden einsetzen.
Indes verdienen Ihre Einlassungen an der einen oder anderen Stelle eine kritische Kommentierung. Sie haben, schreiben Sie, geschworen, das „Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“. Das habe ich auch und bin heute wie damals überzeugt: Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt.
Völkerrecht gebrochen
Freilich liegt genau an dieser Stelle der Hund begraben, denn seit dem Ende des Kalten Krieges – den meine Kameraden und ich nota bene gewonnen haben, ohne einen einzigen Feind im Gefecht getötet zu haben – hat die Bundeswehr sich in mindestens drei Fällen an völkerrechtswidrigen Angriffen auf fremde Staaten beteiligt und dabei sowohl das Völkerrecht gebrochen als auch das Friedensgebot im deutschen Grundgesetz massiv verletzt: nämlich 1999 bei der Bombardierung Jugoslawiens, 2001 beim Einmarsch in Afghanistan sowie im Jahre 2003 durch die Unterstützung des „völkerrechtlichen Verbrechens“ (so der Hamburger Rechtsprofessor Reinhard Merkel) der USA und ihrer Alliierten gegen den Irak und seine Menschen durch Tausende Bundeswehrsoldaten.
Widerspruch und Verweigerung wagten lediglich einzelne Offiziere, während die Generäle schwiegen und die ihnen erteilten Befehle ausführten. Leider reflektieren Sie all das mit keinem Wort, fordern hingegen forsch, es müsse den Jugendoffizieren ohne weiteres erlaubt sein, „Schulen zu besuchen und über die deutsche Sicherheitspolitik zu berichten.“
Diskussionen nicht verhindern
Sollte es Ihnen tatsächlich um einen offenen, demokratischen Diskurs gehen, stimme ich Ihnen zu, denn wie hatte schon anno 1859 der große englische Liberale John Stuart Mill in seinem Traktat „Über die Freiheit“ zutreffend konstatiert: „Jedes Unterbinden einer Erörterung ist die Anmaßung von Unfehlbarkeit.“ Insofern gebe ich Ihnen vollkommen recht, wenn Sie monieren, dass es von einer zutiefst undemokratischen Haltung zeuge, „wenn schon die Diskussion mit Soldaten als böse und falsch verweigert wird“.
Im Übrigen könnte eine rigide Verbotspolitik, was den Zugang von Jugendoffizieren zu den Schulen angeht, sich als durchaus kontraproduktiv und echter „Rohrkrepierer“, um im militärsprachlichen Bilde zu bleiben, erweisen. Denn gemeinhin entfalten gerade die verbotenen Früchte den größten Reiz, wie auch Ihre eigene Biografie beweist, denn Sie selbst sind ja, wie Sie schildern, auch aus „Trotz gegen ein pazifistisches Elternhaus“ Bundeswehroffizier geworden.
Wenn Sie – und die Bundeswehr – zu Recht den offenen, demokratischen Diskurs über die deutsche Sicherheitspolitik einfordern, dann muss dieses Postulat freilich auch für die Bundeswehr selbst gelten. Das aber bedeutet zwingend: Nicht nur Jugendoffiziere in die Schulen, sondern auch Mitglieder des „kritischen Forums für Staatsbürger in Uniform“, besser bekannt als „Darmstädter Signal“, und Vertreter der DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner) hinein in die Kasernen! Denn wie hatte John Stuart Mill gemahnt: „Alle Versuche des Staates, den Entschlüssen seiner Bürger über strittige Fragen eine einseitige Richtung zu geben, sind von Übel.“
Fehlt das Vertrauen in die Soldaten?
Was das angeht, hat die Bundeswehr erheblichen Nachholbedarf. Denn als sich 1983 im „Darmstädter Signal“ Bundeswehrsoldaten zusammenfanden und argumentationsstark die nukleare Abschreckungspolitik der Nato kritisierten, erließ Verteidigungsminister Manfred Wörner prompt einen Ukas, der seinen Jugendoffizieren verbot, öffentlich auf Podien mit Offizieren des kritischen Arbeitskreises zu diskutieren. Und bis heute verweigert die Bundeswehr die kontroverse Debatte, hat es keine einzige derartige Diskussion im Rahmen der politischen Bildung in einer Bundeswehrkaserne gegeben.
Die Angst, im Falle des Falles doch nur über die schlechteren Argumente zu verfügen, scheint sehr ausgeprägt in den Reihen unserer sich sonst so tapfer gerierenden Vaterlandsverteidiger. So ganz traut die Bundeswehrführung ihren fleckgetarnten Pappenheimern offenbar mitnichten. Auf der anderen Seite glaubt man, scheint’s, mit jungen, unerfahrenen Schülern und Schülerinnen leichteres Spiel zu haben.
Also lassen Sie uns eine diskursive Zweibahnstraße bauen, soll heißen: Die Bundeswehr macht ihre Kasernentore auf und die Zivilgesellschaft lässt die Jugendoffiziere in die Schulen – und dann wird diskutiert, offen, heftig, kontrovers, im besten Sinne demokratischer Streitkultur. Wie fänden Sie das, Herr Kamerad? Neugierig auf Ihre Antwort verbleibe ich mit bestem kameradschaftlichem Gruß,
Ihr Jürgen Rose
Jürgen Rose war Oberstleutnant der Bundeswehr und ist Mitglied im Vorstand des Arbeitskreises „Darmstädter Signal“.
Veröffentlicht von mwengelke am Samstag, Dezember 14th, 2013 @ 3:23PM
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