Leserbrief zu General Wittmann: Neues Denken für Russland
Nächste Termine
Derzeit keine Termine festgelegt...
Unser Grundsatz
Der Arbeitskreis respektiert die Rolle der Bundeswehr als Bestandteil der Verteidigung unserer demokratisch verfassten Gesellschaft auf der Basis des Grundgesetzes und des Völkerrechts.
Wir begleiten kritisch die Politik hinsichtlich des Auftrags der Streitkräfte, deren Bindung an Moral und Gesetze, die Umsetzung des Staatsbürgers in Uniform sowie nichtmilitärische Alternativen der Konfliktbewältigung.
Eingestellte oder geteilte Artikel in dieser Kategorie sind Einzelmeinungen und dienen als Diskussiongrundlage. Sie stellen keine Ansichten des Darmstädter Signals dar.
Zu „Neues Denken für Russland“ (LB von Brigadegeneral a.D. Dr. Klaus Wittmann Berlin, F.A.Z. vom 24. März S.18)
Es ist hoch anzuerkennen, daß Dr. Klaus Wittmann sich noch im Ruhestand immer wieder lesbar an der sicherheitspolitischen Debatte in Deutschland beteiligt und auch persönlich bei sicherheitspolitischen Tagungen zu erleben ist, z.B. bei einer dieser Zeitung am 23. Januar in Berlin.
Wenn er in den 66 Zeilen seines Leserbriefs aber nur in ganzen 4 davon von den Mitgliedern der NATO einfordert, daß diese selbstkritisch ihren Teil der Verantwortung für die Verschlechterung des Verhältnisses mit Russland anerkennen sollten, so ist das argumentativ unzureichend gewichtet. Wir lesen: „Er (Putin) sollte sich fragen….Es (Russland) sollte…es (wieder Russland) sollte…schließlich sollte es (Russland) seine revisionistischen Träume begraben“. Jaja, nachdenken sollen immer die andern. Und der Autor riskiert einen Blick in die Zukunft: Möglicherweise werde Putin nicht mehr so lange an der Macht sein, wie er im Rausch seiner Rede (zur Krim-Krise) wähnen mag. Na gut, bereits Napoleon hatte erkannt, daß Rußland durch den Zufall regiert werde und auch Churchill hielt die inneren Vorgänge der moskowitischen Staatsführung für ein Rätsel mit umgebendem Mysterium, aber vorläufig muss mit Putin schon noch gerechnet werden. Rußland ist begeistert: Punktsieg! Selbst Gorbatschow fordert den Westen auf, Ruhe zu bewahren: “Die Menschen wollen es, und das bedeutet, dass man ihnen entgegenkommen muß.“
Über das Auftreten der NATO nach 1990 erfährt der Leser in dieser Zuschrift leider wenig. Schon während des Kosovo-Krieges kritisierte Henry Kissinger 1999 die neue NATO-Doktrin: „Das Bündnis hat seine historische Selbstdefinition einer streng defensiven Koalition aufgegeben. Sollte sich die NATO-Doktrin der universellen Intervention verbreiten und sollten konkurrierende Wahrheiten erneut in einen offenen Wettstreit treten, droht uns eine Welt, in der die Tugend Amok läuft.“ Das wird in unserem Lande leider viel zuwenig zur Kenntnis genommen.
„Keinen inch“ würde die NATO nach Osten vorrücken, sagte US-Außenminister Baker am 09.02.90 zu Gorbatschow, was Rußland als Versprechen ansah. In immer neuen Erweiterungsrunden kamen aber bis jetzt 12 neue Mitglieder dazu. Beim NATO-Gipfel 2008 in Bukarest sollten auf Vorschlag von Bush auch Georgien und die Ukraine aufgenommen werden, was zum Einspruch Rußlands führte, Frankreich sowie Deutschland wollten das auch nicht. In einem Interview am 04. 03.14 mit dem Deutschlandfunk sagte der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, General a.D. Harald Kujat, Rußland hätte jetzt eindeutig eine rote Linie gezogen, eine weitere Annäherung der Ukraine an den Westen würde nach russischer Auffassung die Sicherheit Rußlands gefährden, dabei gehe es um die befürchtete Verletzbarkeit der vertraglichen Vereinbarungen hinsichtlich der Schwarzmeerflotte. Das Ziel jedenfalls, in die NATO aufgenommen zu werden, werde die Ukraine aufgeben müssen, sagte Kujat. Auch Henry Kissinger hatte ja vor ein paar Wochen in einem Essay für die Washington Post u.a. vorgeschlagen, die Ukraine solle auf einen NATO-Beitritt verzichten und eine neutrale Position wie Finnland etwa vertreten, Kiew solle im Gegenzug die Autonomie der Halbinsel stärken.
Die NATO hat sich zusicherungswidrig an die russische Grenze vorgeschoben und in Rußland erhebliche Unsicherheit ausgelöst. Francois Mitterand hatte bereits 1991 gewarnt, dass die Erzeugung eines Gefühls der Umzingelung bei der UdSSR nicht der richtige Weg für Europa wäre. Die NATO sollte sich auf ihre alte Rolle als regionale Verteidigungsorganisation rückbesinnen und stets den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als höchste sicherheitspolitische Autorität anerkennen. Auch darf das Völkerrecht nicht durch Selbstmandatierung der NATO oder einer solchen durch „Koalitionen der Willigen“ ausgehebelt werden. Ein derartiges Handeln führt nämlich nur dazu, dass die NATO eher als Störer denn als Garant des Weltfriedens angesehen wird.
In Europa kann Sicherheit nicht gegen, sondern nur mit Russland gewährleistet werden. Es wird offenbar zunehmend darüber diskutiert, ob überhaupt oder jedenfalls in der gegenwärtigen Form die NATO als Element der europäischen Sicherheit sich nicht überlebt hat und unter Aktivierung und Stärkung der OSZE durch ein umfassendes System der gemeinsamen europäischen Sicherheit ersetzt werden sollte. Dazu gehört dann natürlich auch, dass die Raketenabwehr gesamteuropäisch erarbeitet wird.
Es liegt für die mehr als eine halbe Milliarde Menschen umfassende Europäische Union nicht sehr nahe, „out of area“ – Einsätze zu unterstützen, deren weltweite Ziele der NATO von den jenseits des Atlantik gelegenen USA mit ihren 316 Millionen Bürgern vorgegeben werden und die unseren eigenen Interessen widersprechen. Das gilt umsomehr, als die USA jetzt ihren Blick auf die Region Pazifik richten. Europa sollte sich nicht länger als amerikanischer Brückenkopf auf dem eurasischen Kontinent mißbrauchen lassen. Wir Europäer erleben unseren Hegemon schlichtweg als fehlgeleitet und das tut unserer Selbstachtung auf Dauer nun mal nicht gut. Sollte die NATO als solche überhaupt bestehen bleiben, muss sie europäischer werden.
Michael Lindner Hamburg 25.03.14
Oberstleutnant d.R.
Veröffentlicht von mwengelke am Sonntag, März 30th, 2014 @ 4:19PM
Kategorien: Meldungen