Kling: Die Bundeswehr verkommt zur Weltpolizei
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Unser Grundsatz
Der Arbeitskreis respektiert die Rolle der Bundeswehr als Bestandteil der Verteidigung unserer demokratisch verfassten Gesellschaft auf der Basis des Grundgesetzes und des Völkerrechts.
Wir begleiten kritisch die Politik hinsichtlich des Auftrags der Streitkräfte, deren Bindung an Moral und Gesetze, die Umsetzung des Staatsbürgers in Uniform sowie nichtmilitärische Alternativen der Konfliktbewältigung.
Interview mit dem Sprecher der kritischen Soldaten (Darmstädter Signal) Florian Kling in den Nachdenkseiten vom 21. Oktober 2016 um 15:13 Uhr | Verantwortlich: Jens Berger
Link zum Original-Artikel: http://www.nachdenkseiten.de/?p=35511
„Die Bundeswehr verkommt zur Weltpolizei“
Die Bundeswehr ist eine Verteidigungsarmee. Sie verteidigt unser aller Freiheit am Hindukusch. Kämpft weltweit tapfer gegen Terroristen. Verhindert Kriege. Baut Brunnen. Hilft Hungernden und Leidenden. Und, ja, sorgt sogar dafür, dass wir Bananen im Supermarkt haben. Das wäre ohne sie und also ohne Militär kaum mehr möglich, weswegen sie immer weiter modernisiert und transformiert werden muss. Glauben Sie nicht? Halten Sie für Propaganda? Jens Wernicke auch. Daher sprach er für die NachDenkSeiten mit Florian Kling, dem Sprecher des Arbeitskreises „Darmstädter Signal“, einer Vereinigung kritischer Staatsbürger in Uniform, über aktuelle Entwicklungen bei der Bundeswehr, denen dringend Einhalt geboten gehört.
Herr Kling, Sie sind Sprecher des Arbeitskreises „Darmstädter Signal“, einer Vereinigung aktiver und ehemaliger Soldaten, die sich zum Ziel gesetzt hat, kritisch die politischen Entscheidungen über die deutschen Streitkräfte zu begleiten. Die Gründer wandten sich bereits vor vielen Jahren gegen die „Nach“-Rüstung mit Atomraketen in West- und Ost-Europa und forderten eine kleinere, nicht angriffsfähige Bundeswehr sowie den Abbau aller Massenvernichtungsmittel weltweit. Das „Leitbild vom Staatsbürger in Uniform“ solle endlich verwirklicht werden, hieß es damals und heißt es nach wie vor. Nun befindet sich die Bundeswehr seit Jahren in einem „Transformationsprozess“: ein „Krieg um die Köpfe“ ist entbrannt und die Bundeswehr wird immer häufiger dazu benutzt, Dinge zu tun, die eher als Kolonialkrieg denn Landesverteidigung zu interpretieren sind. Wie stellen sich diese Entwicklungen für Sie als kritischen Soldaten dar? In welcher Situation befinden wir uns?
Tatsächlich haben wir heute eine Bundeswehr, die ganz anders ist als zur Zeit der Nachrüstung und der Gründung unseres Arbeitskreises im Jahr 1983. Die Bundeswehr hat von ihren Ausmaßen viel der erkennbaren Bedrohlichkeit verloren und – wie es regelmäßig in die Medien getragen wird – auch ausrüstungstechnisch nicht mehr die Schlagkraft, um etwa einen Krieg im Stile des Ost-West-Konfliktes zu führen, geschweige denn zu beginnen.
Leider geben die letzten Jahrzehnte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs aber keinen Grund zur Entwarnung. Aus einer Bundeswehr, die durch das Grundgesetz auf territoriale Landesverteidigung ausgerichtet war, ist über den Umweg der Bündnisse inzwischen eine weltweit flexibel agierende Einsatzarmee geworden, die fast überall dort anzutreffen ist, wo auf der Welt gerade gekämpft und Krieg geführt wird.
Die personellen und materiellen Fähigkeiten der Bundeswehr werden heute maximal ausgereizt. Wenn selbst nicht gekämpft werden kann, werden die Partner mit Material und Ausbildung unterstützt.
Die Hemmschwelle, deutsche Streitkräfte bei internationalen Konflikten einzusetzen, ist soweit gesunken, dass sich Deutschland inzwischen sogar an einer Koalition der Willigen in Syrien beteiligt und das dortige Chaos auch noch weiter befeuert.
Durch die Schaffung einer Berufsarmee ist eine Armee entstanden, die nicht mehr viele kritische „Staatsbürger in Uniform“ hat, die sich trauen, beispielsweise im Offizierskorps Fragen zu stellen und andere Meinungen lautstark zu vertreten.
Vom Abbau der Massenvernichtungswaffen sind wir leider immer noch weit entfernt. Zwar hätte die Bundesregierung die Mehrheit, um die amerikanischen Atomwaffen endlich aus Deutschland zu verbannen, aber gerade da kommt vielen die Ukraine-Krise gerade recht, um in den Überbleibseln des Kalten Krieges ein Abschreckungspotential gegen Russland wiederzuentdecken zu können.
Wie kam es zu diesen Entwicklungen und welchen Interessen arbeiten diese zu?
Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des Warschauer Paktes fühlten sich erst einmal alle im Westen als Gewinner und freuten sich über die sogenannte Friedensdividende. Sowohl finanziell als auch sozial wurde es in den Folgejahren entspannter und ruhiger in der wiedervereinten Bundesrepublik. Deutschland war nur noch von Freunden umgeben und hatte ein großes Militär mit vielen Landstreitkräften nicht mehr nötig.
Die NATO geriet zunehmend unter Druck, sich trotz fehlendem äußeren Feind selbst noch begründen zu können. Auch die Friedensbewegung, die in den 80er Jahren so wichtig war und zur Fortführung der neuen Ostpolitik Brandts drängte, sah ihren Auftrag zu großen Teilen als erfüllt an und konnte seither keine riesigen Menschenmassen mehr zu ihren Ostermärschen bewegen.
Schleichend setzten dann aber neue Aufträge für die Bundeswehr ein. Zunächst nur humanitäre Einsätze, schließlich aber auch erste Kampfeinsätze. Spätestens mit den Anschlägen vom 11. September und der diesbezüglich zugesicherten „uneingeschränkten Solidarität“ in Afghanistan war Deutschland im Bündnis mit den anderen NATO-Staaten plötzlich auf dem internationalen Parkett auch militärisch wieder dabei.
Die traditionelle Zurückhaltung ist einem politischen Sendungsbewusstsein für Menschenrechte und den Schutz Unschuldiger gewichen. Oft mit guten Absichten und ehrlichen Beweggründen der Parlamentarier, leider aber oft auch nur als Erfüllungsgehilfe für die Umsetzung der Interessen anderer.
Inzwischen geht es in den Fällen möglicher Bundeswehreinsätze gar nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie: „Wie kann völkerrechtlich der Einsatz legitimiert werden, auch wenn die UN kein Mandat erteilt, und wie erklären wir das unseren Wählern?“ Dass die Einsätze oft gut gemeint, aber meist erfolglos sind, sehen leider noch zu wenige.
Welche Rolle spielen in diesem Fall die offenen Bekundungen, „unsere Freiheit“ auch am Hindukusch verteidigen zu wollen, die Bundeswehr auch zur Sicherung der Handelswege und anderem zu verwenden?
Ich hoffe nicht, dass dieser Ausspruch des damaligen Verteidigungsministers Struck den Tatsachen entsprach, denn schließlich hätten wir dann heute unsere Freiheit in Afghanistan bereits verloren. 15 Jahre nach den Angriffen auf das World-Trade-Center verschlechtert sich die Sicherheitslage am Hindukusch tagtäglich und die Taliban drohen erneut, das Land zu übernehmen.
Die Bilanzen der großen Operationen des Westens in Afghanistan und dem Nachbarland Irak sind desaströs und im Grunde eine Auflistung an Argumenten gegen weitere militärische Einmischungen in zerfallene Staaten oder Bürgerkriegsländer.
Das Chaos in Syrien, das nicht nur das Land selbst komplett zerstört hat, sondern mit der Vertreibung von Millionen Menschen auch Europa an seine politischen und gesellschaftlichen Grenzen bringt, hat seine Ursache unter anderem im verlorenen Angriffskrieg der Amerikaner im Irak.
Dass für die Handelswege auch die Bundeswehr eingesetzt wird, stand bereits 2006 im Weißbuch der Bundesregierung – es hat nur nie jemanden interessiert, bis Bundespräsident Köhler es offen ausgesprochen hat.
Die Bekämpfung der illegalen und international geächteten Piraterie am Horn von Afrika ist immerhin ein kleiner Erfolg in der Bilanz der Bundeswehreinsätze. Dem Ursprungsland Somalia geht es aber immer noch nicht besser und die Kriminalität hat sicherlich schon andere Wege gefunden, sich zu betätigen.
Viel wichtiger ist allerdings, dass die Bundeswehr nicht noch stärker zum Werkzeug wirtschaftlicher Interessen wird. Auch die Ukraine ist mit ihren Gasversorgungswegen ein wichtiges Transitland, das der Westen gerne kontrollieren würde. Ich hoffe, dass es dort zu keiner weiteren Eskalation kommt.
Und was halten Sie von der seit einiger Zeit in Mode gekommenen Tendenz, sich immer wieder einmal mittels des Militärs „wehren“ zu müssen, wenn irgendwo auf der Welt mal wieder ein vermeintlich „neuer Hitler“ auftaucht?
Es sind nicht immer neue Hitlers, aber immer öfter unterstellen wir unseren politischen Gegnern in aktuellen Krisen und Konfliktlagen, wahnsinnig zu sein oder komplett jede rechtliche Legitimation verloren zu haben.
Sicherlich sind viele Staatsoberhäupter Diktatoren, Mörder und Menschenrechtsverbrecher – aber daraus resultiert nach internationalem Völkerrecht nicht automatisch, dass eine Regierung ihren Herrschaftsanspruch verliert. Schon gar nicht lässt sich daraus eine automatische Legitimation zum militärischen Einmarsch in ein Land oder zum Einmischen in die inneren Angelegenheiten eines Staates begründen.
Weil das auch unsere Regierungen im Westen wissen, wird meist mit unlauteren Methoden nach schweren Menschen- oder Völkerrechtsverbrechen gesucht, um das Vorgehen zu begründen. Wir erinnern uns an die unterstellten Massenvernichtungswaffen im Irak, den vermeintlichen Einsatz von Streumunition in Libyen und die aktuellen Giftgasvorwürfe gegen Syrien. Damit wurde beispielsweise im libyschen Bürgerkrieg Russland dazu gedrängt, eine Flugverbotszone zu unterstützen – bis man später mit demselben Mandat auch Luftangriffe flog und Truppeneinsatz unterstützte.
Aber selbst wenn die objektiven Tatbestände ein militärisches Eingreifen nach den geltenden Normen des Völkerrechts einmal erlaubten, ist dies in vielen Fällen kein Rezept für Frieden oder ein besserer Endzustand.
Auch der nun zustande gekommene Atom-Deal mit dem Iran zeigt, dass dort keineswegs irrationale oder verrückte Machthaber tätig sind – sondern sie sehr wohl auch für rationale Diplomatie auf Augenhöhe aufgeschlossen sind.
Ein starker Machthaber ist oft deshalb an der Spitze seines Landes, weil er der Einzige ist, der es schafft, das Land zu stabilisieren und ein Abrutschen in den Bürgerkrieg zu verhindern. Wenn der Zustand nach einer blutigen militärischen Auseinandersetzung aber nicht besser ist als die erzwungene Stabilität zuvor, haben auch wir nichts durch ein Einschreiten gewonnen, sondern nur noch mehr diplomatisches Porzellan zerdeppert.
Welche Bedeutung wird in diesem Kontext dem neuen „Weißbuch“ der Bundeswehr zuteil, dessen „Gestaltungsanspruch“ sich ausdrücklich auf die gesamte Erdkugel sowie den Weltraum erstreckt?
Das neue Weißbuch ist Sinnbild für die verzweifelte Suche nach Antworten auf die weltweiten Krisen und Ängste der Menschen in unserer Zeit.
Auf der pragmatischen Ebene der innerdeutschen Realpolitik nutzt es die Union, um die Befugnisse der Bundeswehr zu erweitern und Deutschland außenpolitisch als zentralen militärischen Akteur einer neuen transatlantischen Weltpolizei zu positionieren.
Weil die Federführung des Regierungsdokumentes im Verteidigungsministerium liegt, schafft es Ursula von der Leyen, an Steinmeiers kluger Außenpolitik im Zeichen der Diplomatie und Abrüstung vorbeizukommen und in der Welt mitzumischen.
Zudem ist es ein wichtiges schriftliches Dokument zur Unterstützung ihrer schon eingeschlagenen Richtungswechsel in der Personalpolitik und Finanzierung der Streitkräfte. Wer mehr will, muss das auch begründen. So werden Sachgebiete und Themen plötzlich zu einem sicherheitspolitischen Problem umgedeutet, obwohl sie zuvor noch im Aufgabenbereich der Innenpolitik oder Wirtschaftspolitik lagen.
Inhaltlich und politikwissenschaftlich gelesen, beschreibt das Weißbuch den Kampf um den Untergang des Westens im Wettlauf um die weltweite Machtverteilung mit China, Indien sowie den BRICS-Staaten, die demografisch und wirtschaftlich in einer globalisierten Welt eine bessere Zukunft haben als die USA und Europa.
„Alles um uns herum wird gefährlich und wir verwundbarer“, ist zusammengefasst die Lageanalyse und gleichzeitig Panikmache des Weißbuches. Es geht um das Festhalten an alter Macht und Wohlstand sowie den weiterbestehenden Wunsch, Einfluss auf andere Regionen auszuüben. Dass dies als Folge nur zu mehr Konflikten, neuen Rüstungswettläufen und tieferen diplomatischen Gräben mit den neuen „Gegnern“ führen muss, ist traurige Realität.
Was von der Öffentlichkeit bisher noch gar nicht wahrgenommen wurde, ist die Tatsache, dass es neuerdings ein offizieller Auftrag der Bundeswehr ist, die heimische Rüstungsindustrie zu unterstützen, Technologie zu sichern und zu exportieren. Im letzten „Mittler Brief“, dem konservativen Lobbyblättchen in diesen Kreisen, wurde dieser Auftrag sogar besonders betont. Im „Weißbuch“ selbst heißt es dazu: „Es gilt daher, militärische Fähigkeiten gemeinsam zu planen, zu entwickeln, zu beschaffen und bereitzustellen sowie die Interoperabilität der Streitkräfte in Europa zu erhöhen, um die Handlungsfähigkeit Europas weiter zu verbessern. Die Bundeswehr wird die Anstrengungen der Bundesregierung zur Flankierung der hierzu erforderlichen Prozesse im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen. Gleichzeitig ist es notwendig, die eigene technologische Souveränität durch den Erhalt nationaler Schlüsseltechnologien zu bewahren und damit die militärischen Fähigkeiten und die Versorgungssicherheit sicherzustellen. Das Bundesministerium der Verteidigung wird hierzu seine besondere Fachexpertise in Entwicklung, Beschaffung, Ausbildung und Nutzung zur Verfügung stellen. Zu deren Erhalt bzw. ihrer Förderung verfügt die Bundesregierung über folgende Instrumente: ressortübergreifende Abstimmung und Priorisierung von Forschungs- und Technologiemaßnahmen, gezielte Industriepolitik, die Auftragsvergabe durch das Bundesministerium der Verteidigung sowie Exportunterstützung.“
Trotz unglaublicher Probleme in der Planung und Umsetzung aktueller und vergangener Rüstungsvorhaben werden die Probleme nicht durch Hinzuziehung von Unternehmensberatern und höhere Bezahlung der Verantwortlichen gelöst. Die Grundursache bei allen Beschaffungsvorgängen liegt in der politischen Führung selbst begründet. Es sind die Politiker, die unter allen Umständen Rüstungsaufträge an die heimische Industrie im eigenen Wahlkreis vergeben sehen möchten.
Um einen Auftrag im eigenen Land zu behalten, wird einfach eine Fähigkeitslücke – die es für einen Rüstungsauftrag braucht – so beschrieben, dass nur eine deutsche Neuentwicklung diese Lücke schließen kann. Wenn das nicht möglich ist, lässt sich auch einfach eine „Schlüsseltechnologie“ definieren, die aus politischen Gründen im eigenen Land entwickelt und produziert werden kann.
Durch all dies ist es möglich, weiter die Rüstungsindustrie zu subventionieren, neue Aufträge zu generieren und technologisch auf dem Gebiet der Kriegsausrüstung weltweit führend zu bleiben. Denn nur, wer technologisch selbst produziert und die Patente besitzt, kann diese Technologie dann auch zur Förderung von Kriegen und Konflikten weltweit exportieren oder lizenzieren.
Deswegen werden auch weiterhin eigene Drohnen, Panzer, Flugzeuge, Raketen und andere Waffensysteme entwickelt, obwohl das aus wirtschaftlichen und sogar militärischen Gesichtspunkten heraus völlig unlogisch ist. Wenn Deutschland nicht weltweit Nummer 4 im Waffenexport bleiben würde und unsere Entwickler statt Waffen nützlichere Hochtechnologien entwickelten, wäre es sogar möglich, mit weniger Budget unsere Soldaten besser auszustatten und zu schützen.
Dass jetzt sogar im Weißbuch die Bundeswehr zum Erfüllungsgehilfen der heimischen Industrie gemacht wird – und dieser damit ihren sicherheitspolitischen Auftrag unterordnen muss -, ist erschreckend. Das lässt mir im Übrigen auch die Pläne für eine europäische Armee in einem kritischen Licht erscheinen, wenn aus vorgeschobenen Gründen der Interoperabilität Deutschland hierdurch die Chance erstreiten kann, zum militärischen Alleinausstatter in Europa zu werden.
Bei IT-Systemen haben wir dieses Recht schon für uns beansprucht, dabei herausgekommen ist leider nur Murks. Die deutsche Industrie hat ohne Konkurrenz und Wettbewerber produziert und geliefert, jetzt hat die Bundeswehr Computerprogramme, die jeden Bediener verzweifeln lassen. Zumindest verzweifelt dann aber auch ein Hacker, wenn er sich Zugang zum „Cyberraum“ verschaffen sollte. Ein großes Modethema des Weißbuches – nämlich der Cyberkrieg – verlöre dann wiederum ein wenig von seinem Schrecken.
Was bräuchte es Ihrer Meinung nach aktuell für mehr Frieden in der Welt? Und was für eine friedlichere Bundeswehr?
Für mehr Frieden braucht es zunächst einmal eine umfangreiche Abrüstung. Vor allem verbale Abrüstung tut not und kann sehr direkt und schnell verhindern, dass sich Krisen wie in der Ukraine weiter hochschaukeln. Alle Seiten müssen wieder lernen, sich auch in die Schuhe des Andersdenkenden zu stellen und entgegenstehende Standpunkte nachzuvollziehen.
Gleichzeitig begrüße ich sehr die derzeitigen Bemühungen unseres Außenministers, auch über die OSZE wieder die gemeinsamen europäischen Werte in die Mitte zu rücken. Die europäische Rüstungskontroll- und Absicherungs-Vertragslandschaft ist brüchig und lückenhaft geworden. Neue Programme und Vertragsregime zwischen Ost und West könnten helfen, zumindest diplomatisch auf Augenhöhe zu kommen, um von da an wieder Stück für Stück die Trümmer zu kitten.
Und die Bundesregierung könnte endlich wahrmachen, was sie in ihrem Koalitionsvertrag fordert, nämlich ein Deutschland ohne Atomwaffen auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt. Leider waren das bisher nur Lippenbekenntnisse.
Wirkliche Alternativen zum Militär finden sich leider nur wenige im neuen Weißbuch. Der Aktionsplan Zivile Krisenprävention der Bundesregierung hätte darin mehr Aufmerksamkeit verdient, als nur in Fußnoten genannt zu werden. Schließlich sind alle Konflikte eskalierte Szenarien, denen man oft auch vorher hätte begegnen können – mit zweckmäßigeren Maßnahmen.
Eine klare und ehrliche Evaluation der bisherigen Bundeswehreinsätze würde auch im Bundestag zur Schlussfolgerung führen müssen, dass Einsätze, für die weder Ziel noch beabsichtigtes Endszenario definiert oder die politischen Rahmenbedingungen klar geregelt sind, nur zu einem weiteren Verlust an außenpolitischer Glaubwürdigkeit führen und die weitere Destabilisierung der Krisenländer unterstützen.
Deutschland täte gut daran, seine internationale Glaubwürdigkeit nicht zu verspielen, statt bei allen militärischen Abenteuern mitzumischen. Der Militäreinsatz muss die Ultima Ratio der Staatengemeinschaft sein – hierfür kann auch zukünftig nur ein UN-Mandat die unabdingbare Rechtfertigung liefern!
Und letztlich noch für die Bürgerinnen und Bürger mit und ohne Uniform: Gehen Sie wieder auf die Straße! Für eine friedliche Welt – ohne Krieg.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Florian Kling, 29, ist seit 10 Jahren als IT-Offizier in der Bundeswehr tätig. Er ist Sprecher der „kritischen Soldaten“ im Arbeitskreis Darmstädter Signal und wohnt in Mannheim.
Veröffentlicht von mwengelke am Sonntag, Dezember 4th, 2016 @ 7:29PM
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