Nukleare Teilhabe beenden – Die Argumente dafür halten einer Überprüfung nicht stand
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Unser Grundsatz
Der Arbeitskreis respektiert die Rolle der Bundeswehr als Bestandteil der Verteidigung unserer demokratisch verfassten Gesellschaft auf der Basis des Grundgesetzes und des Völkerrechts.
Wir begleiten kritisch die Politik hinsichtlich des Auftrags der Streitkräfte, deren Bindung an Moral und Gesetze, die Umsetzung des Staatsbürgers in Uniform sowie nichtmilitärische Alternativen der Konfliktbewältigung.
Uwe Werner Schierhorn, Mitglied im Vorstand des Förderkreises Darmstädter Signal, prüft die Argumente für die nukleare Teilhabe. Anlass war ein Artikel aus der Süddeutschen Zeitung vom 5. Mai 2020 anlässlich der Äußerungen von MdB Rolf Mützenich die nukleare Teilhabe zu beenden und nicht mehrere Milliarden Euros für neue Trägersysteme auszugeben. Im Anschluss an Schierhorns Leserbrief folgt der Artikel aus der SZ:
Sehr geehrter Herr Brössler,
Abschreckung ? Bitte nicht mit Massenvernichtungswaffen und so folgenreichen Waffen wie Atomwaffen: Keine Korrekturmöglichkeit bei einem Fehler, Irreversibilität aller Wirkungen, Auslöschung allen Lebens, Strahlenkranke, schmerzvolle Tode, mindestens aber Nuklearer Winter mit Verhungern, etc.. Das vermittelt doch keine Zukunft !
1.
Nukleare Teilhabe de facto nicht mehr von amerikanischen Atomwaffen auf dem eigenen Territorium abhängig:
Die bisherigen Zusammenhänge der Nuklearen Teilhabe sind praktisch nicht mehr existent, weil die US-Amerikaner nach neuesten Informationen alternativ U-Boote mit taktischen Waffen einsetzen werden. Siehe den Aufsatz von Otfried Nassauer.
Die NATO-Länder Kanada und Griechenland haben keinerlei (auch nicht amerikanische) Atomwaffen auf ihrem Territorium und können trotzdem alle NATO-Entscheidungen (auch atomare) mitgestalten.
2.
Atomwaffen nicht beherrschbar:
Atomwaffen sind nicht beherrschbar. Zusammen mit Ihren Frühwarn- und Entscheidungssystemen stellen sie hochkomplexe Großtechnik dar, die in ihrer Komplexität sehr fehleranfällig ist, wie z.B. Atomkraftwerke, Chemieanlagen oder Flugzeuge. Mindestens 40 mal schrammten wir am nuklearen Inferno vorbei, am sogenannten „Atomkrieg aus Versehen“, dessen Risiko ständig steigt.
https://www.fwes.info/fubk-20-1-LANG.pdf
Es dauerte eine gewisse Zeit, als sich nach der Erfindung von Eisenbahnen der erste Eisenbahnunfall ereignete, ebenso bei Autos, Flugzeugen etc.. Übertragen auf Atomwaffen bedeutet das, dass es nur eine Frage der Zeit ist, wann ein ungewollter Einsatz stattfinden wird. Trotzdem hoffen wir alle, dass wir das Ruder in punkto Atomwaffen noch rechtzeitig herumgerissen bekommen, obwohl sich mindestens ein Drittel der 14ooo Sprengköpfe in Alarmbereitschaft befinden.
3.
Die aktuelle Situation der Automatisierung im Militärwesen spricht gegen Atomwaffen:
Aktuell gehen die Zeiten zwischen Aufklärung, Entscheidung und Schlag gegen Null. Ein Problem stellt das „Lauch-on-Warning“ dar, der Gegenschlag unmittelbar nach dem Erkennen des Startens gegnerischer Raketen. Aber auch kurze Entfernungen (Z.B. NATO-Ostgrenze bis St. Petersburg) und hyperschnelle Trägersysteme verstärken diesen Trend. Neuerdings wird über Künstliche Intelligenz KI im Zusammenhang mit Atomwaffen nachgedacht. KI als Entscheidungshilfe macht das Problem aber noch größer. Es existierten bereits in den 80er Jahren Quellcodes mit über 10 Millionen Befehlszeilen. Der Mensch ist dann überhaupt nicht mehr in der Lage, weder Fehler des Hardware-Systems, noch Fehler der Software rechtzeitig zu erkennen und einen unbegründeten atomaren Gegenschlag zu verhindern. Er muss dem System glauben oder nicht glauben und seine Entscheidung kann falsch sein.
4.
Politiker warnen:
William Perry, George Schultz und General Kujat warnen vor einem Atomkrieg aus Versehen.
„Die Atomwaffenarsenale werden deshalb zu einem immer größeren Risiko und unbeherrschbar. Als Ausweg bleibt eigentlich nur, dass sich auch die Atomwaffenstaaten dem Atomwaffenverbot der UN anschließen und alle Nuklearwaffen verschrotten.“
Dies fordert auch Gorbatschow: Michail Gorbatschow: Kommt endlich zur Vernunft -Nie wieder Krieg! Benevento Publishing, 2017:
„Ich sehe noch immer die Gefahr eines Atomkriegs, solange die letzte Atombombe nicht abgeschafft ist. Ein solcher Krieg wäre der letzte in der Menschheits-geschichte.“ Er sagt weiter, dass Politiker, die glauben, Probleme mit militärischer Gewalt lösen zu können, von der Gesellschaft abgelehnt werden sollten und die politische Bühne räumen sollten. Er fordert aber auch die Zivilgesellschaft zu Protesten auf und betont, dass die Friedensbewegung in den 1980er Jahren eine wichtige Rolle für politisches Handeln gespielt hat.
5.
Fazit:
Atomwaffen stehen für unendliches Leiden und den Tod. Es ist verantwortungslos und ein schweres Verbrechen, Atomwaffen einsatzbereit zu halten und Strategien für den Einsatz zu entwickeln und umzusetzen. Massenvernichtungsmittel müssen verbannt werden! Deutschland (und natürlich die Welt) muss (müssen) atomwaffenfrei werden!
Eine neue Entspannungspolitik brauchen wir und nicht einen Neuen Kalten Krieg !
Zusammenfassend kann man noch sagen, dass wir in einer Gesellschaft der Gewaltkultur leben. Die Sicherheits-/Gewaltlogik sollte endlich einer Friedenslogik weichen. Nicht die Feinde müssen wir bekämpfen, sondern die Feindschaft !
Erich Kästner: „Glaubt nicht, Ihr hättet Millionen Feinde ! Euer einziger Feind heißt „KRIEG“ !“
Lt.d.R. Uwe Werner Schierhorn, Wesseling
Herr Brössler hatte in der Süddeutschen kommentiert:
„Falsche Hoffnung
Vor elf Jahren hat der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier einen Wunsch geäußert, der sich bis heute nicht erfüllt hat. Steinmeier, seinerzeit Kanzlerkandidat, formulierte auf der Münchner Sicherheitskonferenz die „Erwartung“, dass die in Deutschland gelagerten Atomwaffen in die USA zurückgebracht würden. Der damalige FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle ging im Wahlkampf noch weiter und versprach, sich aktiv für den Abzug der Atombomben einzusetzen. Zu Beginn seiner Amtszeit als Außenminister startete er tatsächlich eine Initiative mit diesem Zweck. Sie verlief allerdings im Sand, wiewohl US-Präsident Barack Obama sich 2009 zur moralischen Verantwortung für das Streben nach einer atomwaffenfreien Welt bekannte.
Mit seiner Forderung nach dem Abzug der Bomben und einem Ende der deutschen „nuklearen Teilhabe“ steht der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich also in einer Tradition – aber eben auch in einer Tradition des Scheiterns. Richtig ist, dass die Lage sich verändert hat. Allerdings zum Schlechteren. Würde seine Forderung wahr, brächte das die Menschheit dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt keinen Schritt näher. Wirklich wahrscheinlicher würde nur eine Welt ohne die Nato.
Die Abschreckung nuklearer Bedrohung durch nukleare Bewaffnung g ehört zum Daseinskern der westlichen Allianz. Dazu hat sich bislang noch jede, auch die jetzige, Bundesregierung bekannt. Weil und solange dies so ist, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungen teilzunehmen, die dieser nuklearen Abschreckung dienen. So steht es auch im Koalitionsvertrag. Die von Mützenich ins Spiel gebrachte Vorstellung, Deutschland könne sich aus der militärischen Mitverantwortung verabschieden, politisch aber mit am Tisch bleiben, ist wenig realitätsnah, vor allem aber ist sie unehrlich. Sie lässt geflissentlich die entscheidende Frage außer Acht, ob es eine nukleare Bedrohung gibt oder nicht. Und was daraus folgt. Hier liegt die große Schwäche des Vorstoßes von Mützenich, dem sich SPD-Chef Norbert Walter-Borjans angeschlossen hat.
Mützenich begründet seine Forderung in verschiedenen Variationen mit der Politik von US-Präsident Donald Trump. Er argumentiert, dass sich die Nuklearstrategie der USA unter Trump verändert habe. Er spielt an auf die Unberechenbarkeit des Präsidenten und macht geltend, dass der Einfluss Deutschlands im Rahmen der nuklearen Teilhabe der Nato doch allenfalls ein theoretischer sei. Fraglos gehört es zum Horror unserer Tage, ausgerechnet den Finger Trumps in der Nähe des Atomknopfes zu wissen. Wie lange dieser Finger dort bleibt, hängt nicht von Deutschland ab, sondern von den Wählern in den USA. Mitverantwortung trägt Deutschland aber dafür, dass es nächstes Jahr oder spätestens in fünf Jahren, wenn ein Nachfolger ins Weiße Haus einzieht, noch eine funktionierende Nato gibt.
Deshalb heißt die Schlüsselfigur für Sinn oder Unsinn der deutschen Teilhabe an der nuklearen Abschreckung nicht Donald Trump, sondern Wladimir Putin. Der russische Präsident hat in den vergangenen Jahren Abrüstungsverträge gebrochen, internationale Verpflichtungen missachtet und erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg mit Gewalt Grenzen in Europa verändert. Er hat investiert in nukleare Waffensysteme und hat bewusst Unsicherheit darüber geschürt, unter welchen Voraussetzungen Russland sein Atomarsenal zum Einsatz bringen könnte. Die Hoffnung, eine einsame Abkehr Deutschlands von der nuklearen Abschreckung könnte die russische Aufrüstung stoppen, lässt sich mit nichts, was über Putin bekannt ist, in Einklang bringen. Die Folgen wären steigende Angst in Osteuropa vor Russland und ein dramatischer Ansehens- und Vertrauensverlust Deutschlands. Nichts davon würde die Welt sicherer machen.
Zwar wird der Vorstoß von Mützenich und Walter-Borjans für die praktische Politik vermutlich zunächst ohne Folgen bleiben. Sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als auch Außenminister Heiko Maas (SPD) haben wissen lassen, dass sie zum Koalitionsvertrag stehen. Die US-Atomwaffen bleiben in der Eifel. Nichts ändern wird sich vorerst voraussichtlich auch am Vorhaben, die altersschwachen Tornado-Kampfflugzeuge durch Maschinen zu ersetzen, die auch in Zukunft in der Lage sein werden, Nuklearwaffen zu tragen. Dennoch wird der Vorstoß Spuren hinterlassen. Außenpolitisch, weil die deutsche Debatte den Verbündeten in der Nato nicht verborgen bleiben kann und Misstrauen säen wird. Innenpolitisch, weil Mützenich und Walter-Borjans mit hoher Wahrscheinlichkeit große Teile der Sozialdemokratie hinter sich wissen. Ohnehin Gegner der nuklearen Teilhabe sind die Grünen. Die Debatte ist eröffnet. Wer Deutschland in der Mitverantwortung für die nukleare Abschreckung halten will, wird mehr als bisher offen und offensiv dafür werben müssen. Das Fernziel einer atomwaffenfreien Welt muss dafür niemand aufgeben. Im Gegenteil.
Dass Deutschland sich aus der Mitverantwortung verabschieden kann, ist wenig realitätsnah.“
Hier die Kurzfassung des Beitrages von Uwe Werner Schierhorn:
Gleichfalls empfehlenswert die Argumentation von Jürgen Wagner vom 6. Mai 2020
Veröffentlicht von mwengelke am Donnerstag, Mai 7th, 2020 @ 4:48PM
Kategorien: Meldungen, Positionen
Tags: Nukleare Teilhabe, Uwe Werner Schierhorn