Schreiber: Mehr Verantwortung – wofür und womit?
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Unser Grundsatz
Der Arbeitskreis respektiert die Rolle der Bundeswehr als Bestandteil der Verteidigung unserer demokratisch verfassten Gesellschaft auf der Basis des Grundgesetzes und des Völkerrechts.
Wir begleiten kritisch die Politik hinsichtlich des Auftrags der Streitkräfte, deren Bindung an Moral und Gesetze, die Umsetzung des Staatsbürgers in Uniform sowie nichtmilitärische Alternativen der Konfliktbewältigung.
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Ein Artikel von Wilfried Schreiber, Mitglied im Darmstädter Signal. Der Artikel steht hier zum PDF-Download bereit: WeltTrends 99 Beitrag Schreiber.pdf
Quelle: Autor, veröffentlicht in „WeltTrends“ Nr. 99 – Nov./Dez. 2014
Die Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD der 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages hat die Frage der Verantwortung zur Leitidee ihrer Außenpolitik gemacht. Sie hat sich dabei wesentlich von einer Studie leiten lassen, die die beiden großen deutschen Thinktanks – die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und der German Marshall Fund (GMF) – kurz nach der Bundestagswahl vom September 2013 gemeinsam vorgelegt hatten. Die Studie trägt den Titel „Neue Macht – Neue Verantwortung. Elemente einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik für eine Welt des Umbruchs“. Diese Studie ist in einem intensiven zehnmonatigen Diskussionsprozess entstanden, an dem etwa 50 Vertreter aus Politik und Gesellschaft – darunter auch aller Bundestagsparteien -teilgenommen haben. Mit der Einbeziehung des GMF war von vornherein sichergestellt, dass auch US-amerikanisches Denken hinreichend zum Tragen kam. Dessen sollte man sich stets bewusst sein, wenn man Koalitionsvertrag und praktische Politik dieser Regierung ins Auge fasst.
In den Tagen nach der Münchner Sicherheitskonferenz Ende Januar/Anfang Februar 2014 gab es viel mediale Erregung über eine „neue“ deutsche Außen- und Sicherheitspolitik, die angeblich mit den Reden von Außenminister Steinmeier, Verteidigungsministerin von der Leven und Bundespräsident Gauck auf dieser Konferenz kreiert worden sei und auf eine stärkere Akzentuierung des militärischen Faktors in der Außenpolitik hinauslaufe. Die medialen Wortführer waren meist bekannte Bellizisten, die einen weiteren Rechtsruck in der Regierungspolitik und einen Schwenk zu mehr Interventionseinsätzen der Bundeswehr herbeizujubeln versuchten. Aber auch die kritischen Stimmen aus dem linken Lager konzentrierten sich lediglich auf eine solche Interpretation, wonach mit den drei Reden die endgültige Wende zu einer militarisierten Außenpolitik vollzogen und die Bundeswehr das Hauptinstrument zur Wahrnehmung der neuen deutschen Verantwortung sei.
Tatsächlich bewegten sich aber alle drei Reden strikt im Rahmen des Koalitionsvertrages von CDU/CSU und SPD. Wenn schon ein außenpolitischer Kurswechsel vollzogen wurde, dann wurde der mit der Koalitionsvereinbarung selbst eingeleitet und bezieht sich darauf, dass die Bundesregierung insgesamt außenpolitisch aktiver und deutlicher positioniert auftreten will. Die Diskussion in der Öffentlichkeit – sowohl im rechten wie im linken Spektrum – beschränkte sich aber zunächst ausschließlich auf die militärische Seite der „neuen“ deutschen Außenpolitik. (1)
Komplexe Neujustierung
Dabei scheint ganz entgangen zu sein, dass sich die deutsche Außenpolitik mit der Großen Koalition in einem weit komplexeren Sinne neu justiert hat. Deutschland will außenpolitisch insgesamt aktiver werden und dabei eine Führungsrolle in Europa übernehmen. Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, fordert unter Berufung auf seinen Außenminister eine „europäische Kultur der Verantwortung“ in der Außenpolitik, bei der Deutschland ein „Impulsgeber“ sein soll. Insbesondere verweist er auf die Notwendigkeit eines größeren Engagements „bei der Unterstützung proeuropäischer Kräfte in Osteuropa, bei der Begleitung gesellschaftlicher Umbrüche in der arabisch-muslimischen Welt und bei der Gestaltung der transatlantischen Beziehungen. […] Mehr Verantwortung zu übernehmen bedeutet eben nicht, zwangsläufig mehr Truppen in die Welt zu senden. Es gibt viele Wege, Einfluss zu nehmen“ (2). Lars Brozus von der Stiftung Wissenschaft und Politik, einer der maßgeblichen Autoren der bereits genannten Studie, assistiert Mützenich, wenn er sagt, dass „die Debatte über deutsches Engagement nicht aufs Militärische beschränkt bleiben“ darf. „Stattdessen geht es um die Unterstützung gewaltloser Demokratiebewegungen, die sich die dauerhafte Transformation staatlicher und gesellschaftlicher Strukturen zum Ziel gesetzt haben.
Dafür brauchen sie Geld, Schutz und Parteinahme auf höchster Ebene“(3). Genau das ist aber der springende Punkt, an dem auch eine nicht militärische Außenpolitik fragwürdig wird, da sie an dieser Stelle den Charakter der Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten annehmen kann. Besonders gegenüber den Russland nahe stehenden Ländern wird eine auf regime change abzielende Außenpolitik des transatlantischen Westens deutlich. Vor allem die USA haben in der Ukraine eine solche Politik seit über 20 Jahren mehr oder weniger offen praktiziert und dafür nach eigenen Angaben rund fünf Milliarden (!) Dollar eingesetzt (4). Dabei hat sich gezeigt, wie schmal die Grenzen zwischen gewaltfreier und militanter „Demokratiebewegung“ sowie zwischen partnerschaftlicher Unterstützung nationaler Demokratisierungsbemühungen und von außen gesteuerter Regime-change-VoYixik. sind.
Außenpolitische Opposition – sowohl innerhalb als auch außerhalb des Bundestages – sollte sich also nicht nur auf die Ablehnung von Militäreinsätzen der Bundeswehr konzentrieren – so wichtig die Auseinandersetzung damit auch sein mag. Die von Brozus favorisierten und von der Bundesregierung real praktizierten „innovativen Formen außenpolitischen Engagements“ sind nicht minder fragwürdig und destabilisierend als die meisten Militäreinsätze. Sie sind oft sogar subtiler, weniger deutlich erkennbar und politisch noch brisanter. Die Stellung der deutschen Regierung zum Umsturz in der Ukraine ist ein beredtes Zeugnis dafür. Bereits im Oktober des vergangenen Jahres umarmte der damalige deutsche Außenminister Westerwelle auf dem Kiewer Maidan die Aufständischen gegen die gewählte ukrainische Regierung. Unmittelbar nach dem Putsch deklarierte der heutige Russlandbeauftragte Erler die Installierung der neuen Regierung als Regimewechsel von unten. Und schon Ende März sorgte Bundeskanzlerin Merkel mit dem Empfang der Putschregierung in Berlin für deren vorschnelle staatliche Anerkennung, obwohl all das von vornherein zur weiteren Polarisierung der innerukrainischen Verhältnisse und zur Verschärfung der Differenzen mit Russland beitragen musste.
Das außerordentlich aktive diplomatische Engagement Steinmeiers und Merkels zur Eindämmung und Deeskalation des Konflikts ist inhärenter Bestandteil dieser Politik der „dauerhaften Transformation“. Aktive Förderung des regime change in den Ländern der östlichen Partnerschaft und aktives Konfliktmanagement zur Vermeidung einer militärischen Eskalation sind zwei Seiten derselben Medaille. Die „neue“ deutsche Außenpolitik ist in sich widersprüchlich. (5) Einerseits will sie zweifellos innerhalb Europas einen militärischen Konflikt vermeiden. Andererseits hat sie durch die Unterstützung der von den USA und der EU betriebenen Politik eines regime change an der sensiblen Nahtstelle zwischen der NATO und Russland objektiv eine destabilisierende Wirkung auf das geostrategische Kräfteverhältnis und die bestehende Friedensordnung in Europa ausgeübt. Insofern sind die diplomatischen Aktivitäten der Regierung Merkel in erster Linie Aktivitäten zur Schadensbegrenzung für Fehler bei der Krisenprävention, die auch von anderen deutschen Regierungen im Vorfeld dieser Krise begangen wurden. Dabei soll kein Zweifel daran gelassen werden, dass die Ursachen für die Krise in der und um die Ukraine vor allem in den inneren Widersprüchen der Ukraine selbst zu suchen sind und auch Russland einen besonders großen Teil der Verantwortung für diese Krise trägt.
Gewiss gehört die deutsche Bundesregierung nicht zu den Zuspitzern dieser Krise und auch nicht zu den Einpeitschern eines Konfrontationskurses gegen Russland. Aber sie hat als Regierung des stärksten und einflussreichsten europäischen Landes zu dieser Krisensituation beigetragen. Sie hat den verhängnisvollen Kurs der EU-Kommission, von der Ukraine die Alternative abzufordern, sich entweder für das Assoziierungsabkommen mit der EU oder für die Zollunion mit Russland zu entscheiden, mitgetragen. Damit hat sie de facto die besonders von den USA forcierte Politik der Eindämmung, Zurückdrängung und Schwächung Russlands unterstützt. Eine solche Politik kann aber nicht im Interesse Deutschlands und der europäischen Sicherheit liegen.
Zu den wichtigsten außenpolitischen Erfahrungen und Erfolgen der Bonner Bundesrepublik gehört die von den Sozialdemokraten unter Willy Brandt seit den 1960er Jahren entwickelte und praktizierte Ostpolitik des „Wandels durch Annäherung“, die auf Geduld, Toleranz und Beharrlichkeit gesetzt hatte. Davon ist heute nichts mehr zu spüren. Die Ostpolitik der Gegenwart zielt auf regime change und schnelle Erfolge. Mit missionarischem Sendungsbewusstsein und Weltbeglückungsanspruch sollen die Werte der westlichen Demokratie vor allem in den ehemaligen Republiken der Sowjetunion und den mit ihr verbündeten Staaten durchgesetzt werden, wobei der Wertebegriff für das ideelle Gesamtinteresse des transatlantischen Kapitalismus steht, seine Lebensweise letztlich zur Lebensweise der ganzen Welt zu machen. Dieser westliche Wertekanon hat den Charakter einer säkularen Religion angenommen, die es als höchste Weihe auf allen Kontinenten durchzusetzen gilt. Eine solche Außenpolitik trägt expansionistischen Charakter und widerspricht schlicht der gewachsenen Verantwortung Deutschlands sowie der deutschen und europäischen Sicherheit und Stabilität (6).
Primary ratio der Krisenprävention
Mehr deutsche Verantwortung sollte sich gegenwärtig vor allem auf folgenden Politikfeldern beweisen:
Erstens: Im Zentrum deutscher Außenpolitik müssen das Friedensgebot des Grundgesetzes und der UN-Charta sowie seine Bekräftigung durch den Zwei-plus-vier-Vertrag von 1990 stehen. Die darin enthaltenen grundsätzlichen Verpflichtungen, aktiv zum Frieden beizutragen, sind ernster und konsequenter als Ausgangspunkt und primäres Ziel deutscher Außenpolitik zu verstehen und umzusetzen. Das verlangt insbesondere, der vorausschauenden Krisenprävention einen höheren Stellenwert zu geben und gleichzeitig den bisher für die Bundesregierung verbindlichen „Aktionsplan zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ von 2004 einer kritischen Analyse zu unterziehen. Statt Post-Konflikt-Management muss die Verhinderung von Krisen Ziel und Inhalt deutscher Außenpolitik bestimmen. Die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Aussage von der „besonderen Bedeutung […] der zivilen Krisenprävention“(7) sowie die Aufwertung des neu gebildeten „Beirats Zivile Krisenprävention“ könnten hierzu einen wichtigen Ansatzpunkt bilden.
Zweitens: Unter diesem Aspekt sollte sich deutsche Verantwortung gegenwärtig besonders darin beweisen, einen friedlichen und stabilen Ausweg aus der Ukrainekrise zu ermöglichen. Das verlangt weniger Solidarisierung mit der provisorischen Regierung in Kiew als vielmehr politischen Druck auf diese Regierung, damit alle Seiten und gesellschaftlichen Akteure in der Ukraine an einem runden Tisch bzw. in Verhandlungen zusammenfinden. Das Ziel dieses Prozesses kann nur eine föderale Ukraine sein, die keinem Block angehört, die die Interessen aller Nachbar- und Partnerländer berücksichtigt und sich als Brücke zwischen der EU und Russland versteht.
Drittens: Deutsche Verantwortung besteht aber auch darin, die mit der Krise angeheizte Konfrontation zwischen dem transatlantischen Westen und Russland wieder abzubauen und auf den bewährten Weg der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit Russland zurückzufinden. Dieses Verhältnis erweist sich mehr denn je als Kernfrage für die Bewahrung des Friedens auf unserem Kontinent. Sicherheit und – vor allem auch – Stabilität in Europa können nach wie vor nur mit und nicht gegen Russland gewährleistet werden. Insofern trägt die deutsche Bundesregierung eine große Verantwortung und Verpflichtung, auch innerhalb der NATO und der EU in diesem Sinne zu wirken und dabei die traditionell russlandkritischen Länder wie Polen und die baltischen Republiken in eine neue gesamteuropäische „Ostpolitik“ einzubeziehen. Das schließt eine realistische Bewertung russischer Interessen und russischer Politik ein. Sollte hier kein Durchbruch gelingen, drohen ein neuer Rüstungswettlauf und Spannungen, die alle nur denkbaren ökonomischen, politischen, sozialen und militärischen Verwerfungen einschließen können.
Viertens: Als Schlüsselproblem der deutschen Außenpolitik dürfte sich das Verhältnis der Bundesregierung zu den USA und zur NATO erweisen. Die Krise in der und um die Ukraine macht deutlich, dass sich die deutsche Interessenlage in Bezug auf Osteuropa gravierend von der US-amerikanischen unterscheidet. Das geopolitische Interesse der USA besteht in der Schwächung Russlands, insbesondere unter dem Aspekt seiner Rolle als Hinterland für den neuen Rivalen China. Deutschland und die EU aber brauchen Russland als Partner für Frieden und Stabilität auf dem Kontinent. Offen ist dabei die Frage, ob Deutschland weiter in Nibelungentreue dem amerikanischen Hegemon verbunden bleibt oder seine eigenen bzw. spezifisch europäischen Interessen durchsetzen kann. Das aber würde bedeuten, dass die NATO als Instrument der USA an Bedeutung verlieren und die Eigenständigkeit der Europäischen Union wachsen müsste.
Mehr deutsche Verantwortung wird sich vor allem daran zeigen müssen, dass außenpolitisches Handeln von der primary ratio der Krisenverhinderung bestimmt wird und nicht von der Ultima Ratio eines Militäreinsatzes. Die Erfahrungen aller militärischen Interventionen der NATO oder beliebiger „Koalitionen von Willigen“ in den vergangenen 25 Jahren bezeugen die begrenzten Fähigkeiten von Militär bei regionalen Krisen. Eine Außenpolitik, die verstärkt auf die Androhung und Anwendung militärischer Gewalt setzen will, wird keine Chance auf Erfolg haben – weder für Deutschland noch für die Europäische Union, und auch nicht für die USA und andere Großmächte.
1 Vgl. Misselwitz, Hans-Jürgen: Kurs auf die Welt. Deutschland auf der Suche nach seiner internationalen Rolle. In: WeltTrends 96,2014, S. 51-58.
2 Mützenich, Rolf: Gemeinsame Erklärungen reichen nicht aus. http://www.ipg-journal.de/kolumne/ artikel/gemeinsame-erklaerungen-reichen-nicht-aus-255 (abgerufen am 29.09.2014).
3 Brozus, Lars: Innovation statt Intervention: Die außenpolitische Debatte muss sich vom Militärischen lösen, http://www.swp-berlin.org/de/publikationen/kurz-gesagt/innovation-statt-intervention-die-aussenpolitische-debatte-muss-sich-vom-militaerischen-loesen.html (abgerufen am 29.09.2014).
4 Vgl. Victoria Nuland, zitiert n. Cunningham, Finian: Washington^ Cloned Female Warmongers. httpy/www.informationclearinghouse.info/article37599.htm (abgerufen am 29.09.2014).
5 Vgl. Rode, Reinhard: Verantwortung und Intervention. Weltmoralmacht Deutschland? In: WeltTrends 96, 2014, S. 59-65.
6 Vgl.Theisen, Heinz: Erinnern an die friedliche Koexistenz. In: WeltTrends 97,2014, S. 142f.
7 Deutschlands Zukunft gestalten. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 18. Legislaturperiode. S. 175. https^/www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf (abgerufen am 29.09.2014).
Veröffentlicht von mwengelke am Sonntag, Januar 25th, 2015 @ 1:48PM
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