Ulrich Freys Kritik zum Koalitionsvertrag Union – SPD 2013
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Unser Grundsatz
Der Arbeitskreis respektiert die Rolle der Bundeswehr als Bestandteil der Verteidigung unserer demokratisch verfassten Gesellschaft auf der Basis des Grundgesetzes und des Völkerrechts.
Wir begleiten kritisch die Politik hinsichtlich des Auftrags der Streitkräfte, deren Bindung an Moral und Gesetze, die Umsetzung des Staatsbürgers in Uniform sowie nichtmilitärische Alternativen der Konfliktbewältigung.
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Koalitionsvertrag CDU/CSU – SPD 2013: Friedensbewegung und zivile Konfliktbearbeitung kritisieren Defizite (Stand 9.12.2013)
Ein Text von Ulrich Frey, Stellvertredender Vorsitzender des Förderkreises Darmstädter Signal
Quelle: Ulrich Frey
Hier das Dokument als PDF: Friedensforum-Koalitionsvertrag CDU-CSU-SPD
Frühere Koalitionsverträge haben, wie Vereinbarungen der Regierungsparteien der Jahre 2005 und 2009 nachträglich zeigen, die tatsächliche politische Praxis nicht festgeschrieben. Der neue Koalitionsvertrag 2013 von CDU/CSU und SPD [1] schließt Verbesserungen nicht aus. In der Hoffnung darauf sei eine Bewertung der Tendenzen aus dem Koalitionsvertrag für Anliegen der Friedensbewegung und der zivilen Konfliktbearbeitung zu einigen wichtigen Punkten gewagt. [2]
Ein friedenspolitisches Leitbild, das für alle innen- und außenpolitischen Handlungsfelder Ziele und Prinzipien für eine gewalt- und krisenpräventive, friedensfördernde Politik[3] geklärt hätte, sucht man im einschlägigen Kapitel 7 „Verantwortung in der Welt“ vergeblich.[4] Stattdessen heißt es ganz allgemein: „Die Koalition bekennt sich zur Stärkung einer ressortübergreifenden Zusammenarbeit im Verständnis einer effektiven Außen- und Sicherheitspolitik, für deren Erfolg sich zivile und militärische Instrumente ergänzen müssen. In der Außen- und Sicherheitspolitik denken und handeln wir vernetzt. Im Konzept von Krisenfrüherkennung, Krisenprävention, Ursachenbekämpfung und Konfliktbewältigung ist die Entwicklungszusammenarbeit integraler Bestandteil. Eine besondere Bedeutung kommt der zivilen Krisenprävention zu, deren Strukturen wir stärken und weiterentwickeln werden.“ Zu kritisieren ist, dass das Konzept der „vernetzten Sicherheit“ zwar nicht neu aufgelegt wird, dass aber kein ausdrücklicher Vorrang der zivilen gegenüber den militärischen Anstrengungen statuiert wird. Der im Aktionsplan Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung (2004) angedeutete Impuls hin zu einer konsequent zivil orientierten Politik ist nicht mehr überzeugend aufgenommen worden. Das Wort „Aktionsplan“ kommt nicht vor.
Der Unterausschuss „Zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit“ des Bundestages hat Ressortgrenzen bei der zivilen Krisenprävention überwinden helfen.[5] Er könnte, so erste Bekundungen aus Parlamentskreisen, fortgeführt werden. Gefordert war außerdem, die zivile Konfliktbearbeitung bzw. Krisenprävention auf der Ebene der Bundesregierung institutionell effektiv zu machen und sie im Bundeskanzleramt oder auf der Ebene von Staatssekretären anzusiedeln oder gar – unter Beteiligung der Zivilgesellschaft – einen Rat für Gewaltprävention und Friedenspolitik beim Bundeskanzleramt einzurichten.[6] Damit würden auch der bisher auf niedrigerer Ebene angesiedelte Ressortkreis Zivile Krisenprävention und der zivilgesellschaftliche Beirat handlungsmächtiger. Der Entwurf der CDU/CSU enthielt dazu keine Anregungen, wohl aber der der SPD. Die SPD forderte einen „Beauftragten der Bundesregierung für Friedensförderung und Konflikttransformation“ im Range eines Staatssekretärs/ Staatsministers, den bestehenden Ressortkreis mit einem „permanenten Arbeitsstab“ weiterzuentwickeln und im Bundestag einen Unterausschuss „Friedensförderung und Konflikttransformation“ zu bilden. Ein „besonderer Schwerpunkt“ solle “auf die Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen gelegt werden.“ Diese Widersprüche ermutigen dazu, weiterhin auf eine politisch wirksame Reform der Strukturen der zivilen Krisenprävention von der Spitze her zu drängen. [7]
Beim Wort zu nehmen ist die künftige Bundesregierung, wenn sie in einem Kompromiss verspricht: „Wir werden die Förderung der Friedens- und Konfliktforschung in den kommenden vier Jahren ausweiten. Die bestehenden deutschen Institutionen der Friedensförderung und Friedensforschung wie das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF), der Zivile Friedensdienst, die Bundesakademie für Sicherheitspolitik und die Deutsche Stiftung Friedensforschung haben sich bewährt und sollen stärker in die Politikberatung einbezogen werden.“ Abzuwarten ist, ob und wie die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) sinnvoll einbezogen werden kann, weil sie bisher hauptsächlich unter militärischen Gesichtspunkten gearbeitet hat.
Im Komplex Verteidigung und Bundeswehr hat der Koalitionsvertrag ebenfalls defizitäre Marken gesetzt. Kritische Anfragen zum zukünftigen Sinn der NATO bleiben unbeantwortet. Die Bundeswehr ist als „Armee im Einsatz“ mit dem Leitbild der Inneren Führung und der Soldaten als „Staatsbürger in Uniform“ bestätigt worden. Die Bundeswehr soll zwar eine Parlamentsarmee bleiben. Auf Drängen der CDU/CSU, in deren Entwurf das Problem nicht reflektiert wird[8], ist aber eine Kommission geplant, „die binnen Jahresfrist prüft, wie auf dem Weg fortschreitender Bündnisintegration und trotz Auffächerung von Aufgaben die Parlamentsrechte gesichert werden können.“ „Eine zunehmende Mitwirkung deutscher Soldaten in integrierten Strukturen und Stäben auf NATO- und EU-Ebene muss mit dem Parlamentsvorbehalt vereinbar sein.“ [9]
Eine Kontroverse zwischen CDU/CSU und SPD war auch bei der höchst umstrittenen Frage der Beschaffung von Kampfdrohnen zu überbrücken. Während die CDU/CSU „unbemannte Luftfahrzeuge für Aufklärung und Kampf“ „beschaffen“ wollte, hat die Koalition sich jetzt anders geeinigt: „Extralegale, völkerrechtswidrige Tötungen mit bewaffneten Drohnen lehnen wir kategorisch ab. Deutschland wird für die Einbeziehung bewaffneter unbemannter Luftfahrzeuge in internationale Abrüstungs- und Rüstungskontrollregime eintreten und sich für eine völkerrechtliche Ächtung vollautomatisierter Waffensysteme einsetzen, die dem Menschen die Entscheidung über den Waffeneinsatz entziehen. Vor einer Entscheidung über die Beschaffung qualitativ neuer Waffensysteme werden wir alle damit im Zusammenhang stehenden völker- und verfassungsrechtlichen, sicherheitspolitischen und ethischen Fragen sorgfältig prüfen. Dies gilt insbesondere für neue Generationen von unbemannten Luftfahrzeugen, die über Aufklärung hinaus auch weitergehende Kampffähigkeiten haben.“
Das ist noch keine Ächtung von Kampfdrohnen, verhindert wohl aber deren Beschaffung in der neuen Legislaturperiode.
Bei den Rüstungsexporten[10] haben die Friedensbewegung, Organisationen der zivilen Konfliktbearbeitung und der Friedenswissenschaft mehr Transparenz sowie Beteiligung des Parlaments bei der Entscheidung über Rüstungsexporte bis hin zum grundsätzlichen Verbot durch eine Änderung des Artikels 26 Abs. 2 Grundgesetz gefordert. Der schwarz-rote Kompromiss folgt nicht mehr der schwarz-gelben Bundesregierung. Im Koalitionsvertrag von 2009 hieß es noch: „Es bleibt bei der verantwortungsvollen Genehmigungspolitik für die Ausfuhr von Rüstungsgütern.“ Die schwarz-rote Koalition erklärt für Rüstungsexporte in Drittstaaten „die im Jahr 2000 beschlossenen strengen ‚Politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern’ für unser Regierungshandeln (als) verbindlich. Über ihre abschließenden Genehmigungsentscheidungen im Bundessicherheitsrat wird die Bundesregierung den Deutschen Bundestag unverzüglich unterrichten. Die Entscheidung darüber, wem gegenüber die Unterrichtung erfolgt, liegt beim Deutschen Bundestag. Darüber hinaus werden wir die Transparenz gegenüber Parlament und Öffentlichkeit durch Vorlage des jährlichen Rüstungsexportberichtes noch vor der Sommerpause des Folgejahres und eines zusätzlichen Zwischenberichts verbessern. Wir setzen uns für eine Angleichung der Rüstungsexportrichtlinien innerhalb der EU ein. Europäische Harmonisierungen müssen so umgesetzt werden, dass sie die Mindestanforderungen des Gemeinsamen Standpunkts der EU aus dem Jahr 2008 nicht unterschreiten.“
Die Koalitionäre konterkarieren das auch von der Bundesregierung gesetzte Ziel des NATO-Gipfels 2012 in Chicago, die Kernwaffen aus der Welt zu schaffen, mit der Einschränkung: „Solange Kernwaffen als Instrument der Abschreckung im strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben. Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, dass zwischen den USA und Russland Verhandlungen zur verifizierbaren, vollständigen Abrüstung im substrategischen Bereich beginnen, und entsprechende Schritte beider Partner engagiert unterstützen. Erfolgreiche Abrüstungsgespräche schaffen die Voraussetzung für einen Abzug der in Deutschland und Europa stationierten taktischen Atomwaffen.“ Die 20 atomaren Sprengköpfe in Büchel werden also bleiben und modernisiert[11], wenn nicht Verhandlungen zwischen den großen Atommächten zur Abrüstung führen. Weitere Proteste und Aktionen sind angesagt.
„Die Jugendoffiziere leisten eine wichtige Arbeit bei der Information über den Auftrag der Bundeswehr. Wir begrüßen es, wenn möglichst viele Bildungsinstitutionen von diesem Angebot Gebrauch machen. Der Zugang der Bundeswehr zu Schulen, Hochschulen, Ausbildungsmessen und ähnlichen Foren ist für uns selbstverständlich.“ So steht es im Koalitionsvertrag. Für Initiativen und Organisationen, die die Berechtigung der Bundeswehr zur Beteiligung am schulischen Unterricht bestreiten oder zur Friedenserziehung durch eigenständige Angebote beitragen wollen, ist diese Ankündigung gar nicht selbstverständlich.[12]
Dem Konzept der Schutzverantwortung (Responsibility to Protect), das in der friedensbewegten Öffentlichkeit zunehmend kritisch beurteilt wird, nähert sich die Koalition mit Vorsicht: „Das Konzept der Schutzverantwortung (Responsibility to Protect) bedarf der weiteren Ausgestaltung und einer völkerrechtlich legitimierten Implementierung. Dabei gilt es vor allem die präventive Säule der Schutzverantwortung international zu stärken.“
Fragen der Friedenspolitik waren im Wahlkampf zum Bundestag 2013 und danach kein Gegenstand der öffentlichen Auseinandersetzung. Die aufgezeigten Dissonanzen zwischen den Koalitionären und eigene grundsätzliche Positionen ermutigen dazu, auch mit Unterstützung von Kirchen, neue argumentative Räume zu öffnen und alte zu nutzen. Die Besetzung der Ministerien und die künftige politische Dynamik werden über den Erfolg demokratischer Einmischung mitentscheiden.
Ulrich Frey, früherer Geschäftsführer der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF), Sprecher der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung
[1] Die Bewertung erfolgt auf der Grundlage des Koalitionsvertrages von CDU/CSU und SPD „Deutschlands Zukunft gestalten“ vom 27.11.2013, des Entwurfs der SPD „Koalitionsvereinbarung Kapitel Auswärtiges, Verteidigung, Entwicklungszusammenarbeit, Menschenrechte“ vom 31.10.2013 und des Entwurfs der CDU/CSU für die „Koalitionsvereinbarung 2013 für die Bereiche Auswärtiges, Verteidigung, Entwicklungszusammenarbeit und Menschenrechte“ vom 31.10.2013, 12 Uhr.
[2] Ausgewählt sind aus Raumgründen nur wenige Themen aus dem Handlungsfeld von Friedens-, Außen- und Sicherheitspolitik, über die zwischen Friedensbewegung und Zivilgesellschaft einerseits und den Parteien CDU/CSU und SPD andererseits in unterschiedlicher Intensität gestritten wird. Nicht bearbeitet wurden z.B. die Themen Klima und Energie, Migration und Asyl, Menschenrechte, Europäische Union und Entwicklungszusammenarbeit.
[3] Vgl. Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, Friedenspolitische Forderungen zur Bundestagswahl 2013, www.konfliktbearbeitung.net.
[4] Dass Fehlen eines solchen Leitbildes im Range einer Strategie haben Abgeordnete von SPD und CDU sowie Vertreter/innen der Bundesregierung bei der Tagung der Ev. Akademie Loccum „Neue Nationale Friedensstrategie“ am 6.-8.12.2013 bestätigt.
[5] Vgl. im Einzelnen: Abschlussdokument des Unterausschusses Zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit, Abschlussempfehlungen, www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a03_ga/Abschluss.pdf
[6] Vgl. Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, Friedenspolitische Forderungen zur Bundestagswahl 2013, www.konfliktbearbeitung.net.
[7] Seitens der SPD ist dafür nützlich der „Diskussionsimpuls“ der Friedrich-Eberstiftung „Eckpunkte einer Strategie für Friedensförderung und Konflikttransformation“, ISBN 978-3-86498-455-6
[8] Andreas Schockenhoff und Roderich Kiesewetter, beide MdB CDU, haben eine „Flexibilisierung“ des Parlamentsvorbehalts empfohlen. (IP, September/Oktober 2012, S. 96)
[9] Kritisch: Komitee für Grundrechte und Demokratie, „Kriegseinsätze: Das Parlament soll entmündigt werden“, Informationen Nr. 05/2013, November 2013.
[10] Vgl. Aktion Aufschrei www.aufschrei-waffenhandel.de, Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung, Rüstungsexportbericht 2012 der GKKE, GKKE-Schriftenreihe 58, Januar 2013; Grundsätzlich ist das Positionspapier der DFG-VK – „Für eine Politik der Abrüstung und Entmilitarisierung“, Februar 2012, Zivilcourage, Nr. 5, Dezember 2012, S. 4 ff.
[11] V gl. Gewaltfreie Aktion Atomwaffen abschaffen (GAAA), www.pressehuette.de
Veröffentlicht von mwengelke am Samstag, Dezember 14th, 2013 @ 3:10PM
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