Umgang mit einem Angriffskrieg
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Unser Grundsatz
Der Arbeitskreis respektiert die Rolle der Bundeswehr als Bestandteil der Verteidigung unserer demokratisch verfassten Gesellschaft auf der Basis des Grundgesetzes und des Völkerrechts.
Wir begleiten kritisch die Politik hinsichtlich des Auftrags der Streitkräfte, deren Bindung an Moral und Gesetze, die Umsetzung des Staatsbürgers in Uniform sowie nichtmilitärische Alternativen der Konfliktbewältigung.
aus: Das Blättchen, Zweiwochenschrift für Politik, Kunst und Wissenschaft; 20. Jahrgang, Nummer 1, 2. Januar 2017 von Wilfried Schreiber
Dem Titel sieht man die Brisanz des von Erhard Crome herausgegebenen Buches nicht an. Oberflächlich besehen ist dieses Buch die akribische Dokumentation einer vergeblichen juristischen Auseinandersetzung des Oberstleutnants der Luftwaffe Jürgen Rose mit der Bundeswehr beziehungsweise mit der Bundesrepublik Deutschland, an dessen Ende die Entlassung des renitenten Offiziers aus dem Dienst steht.
Jürgen Rose hatte die Auseinandersetzung mit der deutschen Justiz bewusst provoziert. Gestützt auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig vom 21. Juni 2005 zum Fall Florian Pfaff, der als Offizier der Bundeswehr die Ausführung von Befehlen verweigerte, die der logistischen Unterstützung des IrakKriegs der USA von 2003 dienten, hatte Jürgen Rose scharfe publizistische Attacken in den Zeitschriften freitag und Ossietzky gegen die Bundeswehrführung geführt. Seiner Meinung nach wusste die Generalität genau, dass sie eine illegale Militärinvasion unterstützte. Das Bundesverwaltungsgericht hatte mit seinem Urteil, in dem es „beträchtliche verfassungsrechtliche Bedenken“ für die deutsche Unterstützung des Irakkrieges einräumte, de facto die Befehlsverweigerung von Pfaff sanktioniert und damit Jürgen Rose die Rechtfertigung für seine publizistischen Angriffe und letztlich auch seine juristischen Schritte geliefert.
Rose bezeichnete in zahlreichen Publikationen den Irakkrieg der USA und ihrer willigen Helfer als völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und die deutsche Unterstützung als Beihilfe für ein Kriegsverbrechen und als „Friedensverrat“. Als Reaktion auf die polemischen Publikationen sprach zunächst der Befehlshaber des Wehrbereichskommandos Süd in München im Juli 2006 gegen Rose eine Disziplinarbuße für ein schweres Disziplinarvergehen aus. Rose habe Schmähkritik geübt, die Generalität beleidigt, ihre Menschenwürde verletzt und gegen seine dienstliche Zurückhaltungspflicht verstoßen. Die darauf folgende Beschwerde Roses beim Truppendienstgericht Süd wurde mit Gerichtsbeschluss im Dezember 2006 zurückgewiesen. Darauf wandte sich Rose mit einer Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, in der er sich vor allem auf sein Verfassungsrecht auf Meinungsfreiheit und die Wahrhaftigkeit seiner Aussagen berief. Das Bundesverfassungsgericht verweigerte jedoch die Annahme der Beschwerde. In der Begründung dieser Entscheidung wurden zwar einige Vorwürfe des Truppendienstgerichts an Rose relativiert, jedoch komme der Beschwerde nach Auffassung des Verfassungsgerichts eine „grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu“. Mit der Beharrlichkeit eines Michael Kohlhaas wandte sich Rose daraufhin „wegen Verletzung der Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 10 Abs. 1 EMK)“ in einer Individualbeschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Erwartungsgemäß wurde auch diese Beschwerde nicht angenommen. Das war am 22. September 2010. Da war Rose schon fast neun Monate aus dem Dienst entlassen – „wegen Nichteignung“.
All das wird in dem Buch über circa 580 Seiten von Rose selbst ausführlich dokumentiert. Dazu gehören sämtliche von Rose verfassten Artikel, die sich mit dem Themenkreis Angriffskrieg und Menschenrechte auseinandersetzen, alle entsprechenden Gerichtsakten, der eigene Schriftverkehr von Jürgen Rose sowie alle relevanten Akten der in dem Verfahren involvierten militärischen Dienststellen und zahlreiche weitere Dokumente. Die überwältigende Materialfülle vermittelt dem geduldigen Leser mit beklemmender Klarheit vier Grunderkenntnisse:
Erstens: Die Bundesrepublik Deutschland hat im Irakkrieg den USA definitiv aktive logistische Hilfe erwiesen. Diese Tatsache wird im Buch durch zahlreiche Dokumente zweifelsfrei bewiesen. Hierzu gehören unter anderem ein Rechtsgutachten des BMVg zur „Bewachung amerikanischer Einrichtungen in Deutschland durch Soldaten des Sanitätsdienstes der Bundeswehr“ sowie zwei Urkunden der USArmee als Dank für die Gewährleistung der Sicherheit ihrer Familien in Deutschland. Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht auch der Abdruck eines Artikels aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 2. März 2003 über die militärischen Gesamtleistungen Deutschlands zur Unterstützung des Irakkriegs.
Zweitens: Deutsche und europäische Gerichte – in diesem Fall das Truppendienstgericht Süd, das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte – weigern sich, die verfassungsrechtlichen Bedenken der deutschen Beteiligung am Irakkrieg überhaupt nur zu diskutieren. Sie ignorieren die verfassungsrechtliche Relevanz des deutschen Einsatzes sowie der entsprechenden Beschwerden darüber. Damit leisten sie einen Beitrag zur Verschleierung der völkerrechtlichen Realität eines der schwersten Kriegsverbrechen seit dem Zweiten Weltkrieg.
Drittens: Die verfassungsmäßige Meinungsfreiheit des Soldaten der Bundeswehr ist real eingeschränkt. Obwohl das Bundesverfassungsgericht in der Begründung der Ablehnung des Antrags von Rose den Vorwurf des Truppendienstgerichts über Beleidigung, Schmähkritik und Menschenrechtsverletzung der Generale zurückwies, wurde von allen drei involvierten Gerichten der Vorwurf eines „Verstoßes gegen die Zurückhaltungspflicht“ und einer „Unterminierung der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr“ – was immer das meint – unterstützt. Auf jeden Fall hat die „Funktionsfähigkeit“ der Bundeswehr Vorrang vor der Wahrheit und dem Grundgesetz.
Viertens: Die strikte Rechtsbindung des Soldaten der Bundeswehr an das Grundgesetz ist damit in Gefahr ausgehebelt zu werden. Einmal durch den laxen Umgang der Gerichte mit den verfassungsmäßigen Grundlagen für alle Aktivitäten der Bundeswehr. Zum anderen durch die Entwicklung eines Kämpfertyps von Soldaten, dessen erste staatsbürgerliche Pflicht das „Dienen“ sei und nicht das Denken. Das Erbe und Credo des Graf von Baudissin, der Soldaten der Bundeswehr vor allem als „Staatsbürger in Uniform“ verstand, ist dabei sich aufzulösen.
Der für das Buch verfasste Neutext von Jürgen Rose ist relativ knapp. In einer Einleitung beschreibt und begründet er seinen Weg durch die Instanzen vom Truppendienstgericht über das Bundesverfassungsgericht bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Bedeutsam für das Nachvollziehen der Einstellung von Jürgen Rose ist ein als Anhang deklarierter und von ihm verfasster Essay über „Die Stärke des Rechts gegen die Gewalt des Angriffskrieges“. Darin unterbreitet Rose einen Vorschlag zur Novellierung des StGB §80 für Sanktionen bei Störungen des Staatenund Völkerfriedens im Sinne eines strafgesetzlich relevanten „Friedensverrats“.
Eigenständigen Wert für das Gesamtverständnis der Dokumentation und der Haltung von Jürgen Rose haben das Vorwort des legendären Rechtsanwalts Dr. Heinrich Hannover und die Nachbemerkung des Herausgebers Dr. Erhard Crome. Hannover erinnert an den Fall des Publizisten Lorenz Knorr, den er Anfang der 1960er Jahre verteidigte, als dieser wegen Beleidigung angeklagt war. Knorr hatte wahrheitsgemäß Bundeswehrgenerale als NaziGeneräle bezeichnet und des Massenmords beschuldigt. Nachdem Knorr in zwei Instanzen verurteilt worden war, übernahm das Oberlandesgericht Düsseldorf die Revisionsverhandlung. Aber auch das Oberlandesgericht scheute sich seinerzeit, die Kriegsverbrechen der Generale in öffentlichen Verhandlungen zur Sprache zu bringen und stellte das Verfahren – mit einer Lorenz Knorr belastenden Kostenentscheidung – ein. Angesichts der heute realen Völkerrechtsverletzungen und ihrer Verschleierungen schreibt Heinrich Hannover, dass „öffentlicher Widerspruch gegen verfassungsund völkerrechtswidrig ausgeübte Staatsgewalt […] zu einer Verpflichtung (wird), deren ungehinderte Wahrnehmung zu schützen ist. Diesen Schutz habe der zuständige Inhaber der Staatsgewalt dem Oberstleutnant Rose nicht gewährt“.
Erhard Crome schlägt den Bogen von der Auseinandersetzung Jürgen Roses mit der deutschen Justiz bis in die Gegenwart und verweist auf Entwicklungen in der Bundeswehr, die die Grundsätze der Inneren Führung in Frage stellen und einen Soldatentypus hervorbringen, der nicht mehr die Frage nach der Rechtmäßigkeit von Befehlen stellt. Crome schreibt: „Es gibt die Tendenz, den Einsatz in völkerrechtswidrige Kriege zu befehlen und anschließend die Spuren auch juristisch verwischen zu wollen. Das ist der Inhalt dieses Buches. Deshalb sollte es eine weite Verbreitung finden.“ Dem kann auch der Rezensent nur zustimmen.
Erhard Crome (Hrsg.): Ausgedient. Die Bundeswehr, die Meinungsfreiheit und die „Causa Rose“, Schkeuditzer Buchverlag, Schkeuditz 2016, 646 Seiten, 30,00 Euro.
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Quelle: http://dasblaettchen.de/2016/12/umgangmiteinemangriffskrieg38448.html (Abruf am 04.01.2017)
Veröffentlicht von mwengelke am Sonntag, Januar 8th, 2017 @ 12:31PM
Kategorien: Meldungen