Verfassungswidriges im neuen Bundeswehr-Weißbuch
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Unser Grundsatz
Der Arbeitskreis respektiert die Rolle der Bundeswehr als Bestandteil der Verteidigung unserer demokratisch verfassten Gesellschaft auf der Basis des Grundgesetzes und des Völkerrechts.
Wir begleiten kritisch die Politik hinsichtlich des Auftrags der Streitkräfte, deren Bindung an Moral und Gesetze, die Umsetzung des Staatsbürgers in Uniform sowie nichtmilitärische Alternativen der Konfliktbewältigung.
Gleich in mehrfacher Hinsicht sehen Werner Koep-Kerstin, Vorsitzender der Humanistischen Union, und sein Vorstandskollege, der Rechtsprofessor Martin Kutscha, in einem Beitrag für den Grundrechtereport 2017 im neuen Bundeswehr-Weißbuch Verfassungsverstöße bei Bundeswehreinsätzen. Das Militär werde dort zu einer global einsetzbaren Polizeitruppe mit konflikttherapeutischen Fähigkeiten geadelt. Ferner würden die Forderungen nach Einsatz der Bundeswehr im Inland die bereits heute vorhandenen Möglichkeiten der polizeilichen Terrorbekämpfung verkennen. Schließlich beklagen sie die Erosion des Parlamentsvorbehalts, denn nach Dutzenden von Einsatz-Mandaten des Bundestags für die Bundeswehr sei eine Genehmigungs-Automatik entstanden, die keine Gewähr mehr dafür biete, dass die Bundeswehr strikt nach Vorgaben des Grundgesetzes und der UNO-Charta eingesetzt würde.
Streitkräfte dürfen nur eingesetzt werden, soweit das Grundgesetz es zuläßt.
Art. 87a (2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.
von Martin Kutscha/Werner Koep-Kerstin
Globale Krisenbewältigung durch die Bundeswehr?
Verfassungswidriges im neuen Bundeswehr-Weißbuch
Die Bundeswehr ist gemäß Artikel 20 Absatz 3 GG den verbindlichen Vorgaben des Grundgesetzes unterworfen. Im Kapitel „Rechtliche Rahmenbedingen“ (S. 108-110) des Weißbuches 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr werden zwar Völkerrecht und Grundgesetz pauschal als Handlungsgrundlage genannt, Art. 87a Abs. 1 und 2 GG als die zentralen Normen für den Einsatz der Bundeswehr aber nirgendwo zitiert. Das hat Gründe: Der Auftrag der Bundeswehr soll nicht nur die Verteidigung der territorialen Integrität Deutschland sein, sondern sie soll auch, „zur Abwehr sicherheitspolitischer Bedrohungen für unsere offene Gesellschaft und unsere freien und sicheren Welthandels- und Versorgungswege“ beitragen (S. 90). Es bedürfe einer„multifunktionalen und adoptionsfähigen Bundeswehr“ mit „Mehrrollenfähigkeit“ (S. 98). Das Militär wird im Weißbuch zu einer global einsetzbaren Polizeitruppe mit konflikttherapeutischen Fähigkeiten geadelt.
Im Grundgesetz ist von solchen Aufgaben der Streitkräfte nirgendwo die Rede. „Internationales Krisenmanagement“ gehört vielmehr zum Handlungsbereich einer verantwortungsbewußten Außenpolitik, und die „Abwehr sicherheitspolitischer Bedrohungen“ für unsere Gesellschaft gehört zu den originären Aufgaben der Polizeien von Bund und Ländern.
Weiße Weste?
Mit der Einhaltung der rechtlichen Bindungen scheint es nie Probleme gegeben zu haben: „Die Auslandseinsätze der Bundeswehr der vergangenen 20 Jahre wurden im Einklang mit den völker- und verfassungsrechtlichen Vorgaben im Rahmen und nach den Regeln von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit geführt.“ (S. 108). Wirklich? Immerhin halten zahlreiche Völkerrechtler und Völkerrechtlerinnen die Bombardierung Jugoslawiens 1999 ohne UNO-Mandat mit guten Grünen für illegal (vgl. Peter Becker, in Grundrechte-Report 2000, S. 191 ff.). Begründete Zweifel an der Vereinbarkeit mit Völker- und Verfassungsrecht gibt es auch im Hinblick auf die Beteiligung deutscher Streitkräfte am Afghanistan-Krieg sowie die militärische Hilfe für die Ad-hoc-Allianz gegen den sog. Islamischen Staat.
Von solchen Skrupeln ist im Weißbuch nichts zu spüren – im Gegenteil. Die Fesseln des Verfassungsrechts werden offenbar als lästig empfunden: „Gerade in Fällen, in denen die völkerrechtlichen Voraussetzungen für ein militärisches Vorgehen ohnehin vorliegen (etwa in Form einer Unterstützungsbitte der jeweiligen Gastregierung) und die daher auch keiner völkerrechtlichen Ermächtigung bedürfen, wird die Einbindung in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit zunehmend schwierig. Angesichts der gestiegenen sicherheitspolitischen Verantwortung Deutschlands müssen wir in der Lage sein, auch diesen Herausforderungen gegebenenfalls im Wege des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte kurzfristig Rechnung zu tragen.“ (S. 109) Im Klartext: Das Militär soll künftig auch losschlagen können, wenn die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind, aber z. B. die türkische „Gastregierung“ darum bittet.
Immerhin werden im Weißbuch einige Ursachen für die gewaltsam ausgetragenen Konflikte insbesondere im Nahen und Mittleren Osten angedeutet. Benannt werden z. B. „fragile Staatlichkeit“ und „weltweite Aufrüstung“. Verschwiegen werden dabei jedoch die Rolle von NATO-Staaten bei der Zerstörung der staatlichen Strukturen durch die Kriege gegen Afghanistan, gegen den Irak und Libyen sowie die massiven Waffenexporte Deutschlands. Es klingt deshalb wie Hohn, wenn das Weißbuch „wirksame Rüstungskontrolle, Transparenz und Vertrauensbildung sowie eine restriktive Rüstungsexportpolitik“ empfiehlt (S. 41).
Bundeswehreinsatz im Inland gegen Terroristen?
Die innere Sicherheit, die klassische Polizeiaufgabe ist, soll zukünftig militärisch flankiert werden. Bislang ist der Einsatz der Bundeswehr im Inneren nur in wenigen Ausnahmesituationen zulässig, nämlich als Amtshilfe bei Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen gemäß Art. 35 Abs. 2 und 3 GG oder nach Art. 87a Abs. 3 und 4 GG im Verteidigungs- und im Spannungsfall oder bei bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Keine dieser Ausnahmesituationen lag bei den Terroranschlägen in Würzburg, München und Ansbach vor – von einer Überforderung der Polizei konnte auch keine Rede sein. Umso mehr muss verwundern, dass die Bundesministerin der Verteidigung nichts Eiligeres zu tun hatte als gemeinsame Übungen von Polizei und Militär anzukündigen – wofür? Um „Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes“ politisch zu instrumentalisieren?
Die vorgetragenen Forderungen nach Einsatz der Bundeswehr im Inland bei „terroristischen Großlagen“ (S. 110) verkennen die bereits heute vorhandenen Möglichkeiten der polizeilichen Terrorbekämpfung: Die Länder verfügen über Spezialeinsatzkommandos (SEKs), ihre Kriminalpolizeien ebenso wie das Bundeskriminalamt haben Mobile Einsatzkommandos (MEKs), und die GSG9 steht ebenfalls zur Gewaltbekämpfung zur Verfügung. Zudem unterlaufen sie die strikte Bindung der Polizeien an das Verhältnismäßigkeitsprinzip.
Erosion des Parlamentsvorbehalts
Die Bundesregierung macht sich die Empfehlung der „Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“ zu eigen (S. 109). Damit werden jene unterstützt, die den Parlamentsvorbehalt seit langem problematisieren, weil er ineffizient sei und die Bündnisfähigkeit Deutschlands behindere. In Zukunft gehe es bei Einsätzen und Missionen um „ein verzugsloses und konsequentes Handeln“ und komme es „zunehmend zu Ad-hoc-Kooperationen von Staaten.“ (S. 108) Diese Selbst-Mandatierung von Staaten sieht das Weißbuch unbeschadet der Tatsache vor, dass nur der UN-Sicherheitsrat nach der UNO-Charta eine bewaffnete Intervention zur Sicherung des Weltfriedens beschließen darf.
Das Gegenteil ist jedoch nötig, will man der Verfassung und dem Völkerrecht genügen.
Nach Dutzenden von Einsatz-Mandaten des Bundestages für die Bundeswehr ist eine „Genehmigungs-Automatik“ entstanden, die keine Gewähr mehr dafür bietet, dass die deutschen Streitkräfte strikt nach Vorgaben des Grundgesetzes und der UNO-Charta verwendet werden.
Selbstreflexivität tut Not
Selbstreflexivität als Voraussetzung für ein vertieftes Verständnis von Krisen- und Kriegsursachen könnte eine vorausschauende deutsche Außen- und Sicherheitspolitik ermöglichen, der es primär um Krisen- und Kriegsverhinderung geht. Diese könnte sich auch beim Durchbrechen der Eskalationsspirale im deutsch-russischen Verhältnis bewähren. Das erfordert eine Kurskorrektur hin zur selbstkritischen Analyse eigener Anteile an Krisenursachen. Eine solche läßt lässt das Weißbuch nicht erkennen.
Eine Möglichkeit der selbstkritischen Analyse könnte die PeaceLab2016-Initiative bieten,
mit der das Auswärtige Amt zusammen mit der Zivilgesellschaft und der interessiereten Öffentlichkeit neue Leitlinien zur Krisenprävention entwickeln will. Dabei müßte aber ausbuchstabiert werden, was eine solche Krisenprävention angesichts weltweiter Gewaltzunahme bedeuten kann.
Literatur
- Bundesministerium der Verteidigung: Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr, Berlin 2016.
- Deiseroth, Dieter: Jenseits des Rechts. Deutschlands „Kampfeinsatz“ am Hindukusch, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 12/2009, S. 45 ff.
- Hahnfeld, Bernd: Bundeswehreinsatz gegen den IS. Eine völker- und verfassungsrechtliche Bewertung, in: Wissenschaft und Frieden 2/2016, S. 38 ff.
- Jaberg, Sabine: Das „Weißbuch 2016“. Kontinuität oder Kurswechsel?, in: Wissenschaft und Frieden 4/2015, S. 15-18.
- Koep-Kerstin, Werner/Kutscha, Martin: Aus Bündnispflicht zur Kriegsbeteiligung? In: Blätter für deutsche und internationale Politik 3/2015, S. 33 ff.
Bild: VIII-Civil-Society-Hemispheric-Forum_by-flickr-usr_oasoea_under-cc-license
Veröffentlicht von mwengelke am Montag, Juli 24th, 2017 @ 9:29PM
Kategorien: Meldungen