Zum Krieg in der Ukraine
Nächste Termine
107. Seminar (siehe „Neuigkeiten!“)
Ort: Kemberg
Datum: November 08th, 2024
Zeit: 5:30pm
Unser Grundsatz
Der Arbeitskreis respektiert die Rolle der Bundeswehr als Bestandteil der Verteidigung unserer demokratisch verfassten Gesellschaft auf der Basis des Grundgesetzes und des Völkerrechts.
Wir begleiten kritisch die Politik hinsichtlich des Auftrags der Streitkräfte, deren Bindung an Moral und Gesetze, die Umsetzung des Staatsbürgers in Uniform sowie nichtmilitärische Alternativen der Konfliktbewältigung.
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Hier noch der Link im Text (dort nicht direkt anklickbar): https://youtu.be/ablI1v9PXpI
Und hier der Text zum direkten Lesen:
Das Darmstädter Signal wurde gebeten, zum Ukrainekrieg Stellung zu beziehen.
Der Bedeutung und Tragweite der Sache entsprechend, erfolgt dies sehr ausführlich.
1.:
Wir schließen uns den Millionen Menschen in aller Welt an, die Krieg als ein ungeeignetes und zudem nach internationalem Recht verwerfliches Mittel zur Wahrung strategischer Interessen bewerten. Das gilt nach unserer Auffassung für alle Kriege, somit auch für den in der Ukraine.
2.:
Wir fordern alle Beteiligten mit Nachdruck auf, sich für einen sofortigen Waffenstillstand und weitere Verhandlungen mit dem Ziel eines gerechten Friedens einzusetzen, der für alle Staaten gleichermaßen von Vorteil, zumindest akzeptabel ist und den Bruch internationalen Rechts beendet, anstatt nach Rechtfertigungen für eine Fortsetzung der militärischen Auseinandersetzung zu suchen und nach einer militärischen Lösung zu streben. Dies muss Ziel aller an dem Krieg Beteiligten sein.
3.:
Um eine Konfliktbeilegung, die Interesse aller ist, zu ermöglichen, bedarf es der Berücksichtigung der Tatsache, dass Staaten unterschiedliche Interessen mit unterschiedlicher Priorität, bis hin zu existenziellen Interessen haben. Ziel sollte es also sein, diese unter einen Hut zu bringen.
Das kann nur mit Offenheit und Ehrlichkeit, nicht durch „geschickte“ Propaganda erreicht werden. Die Interessen müssen somit zuallererst beim Namen genannt werden. Wir lehnen Heuchelei und Kriegsrhetorik ab. Die Interessen der einzelnen Länder aus Sicht der jeweiligen Gegenseite falsch darzustellen oder diese ausblenden zu wollen, ist nicht hilfreich.
4.:
Da es nicht auf eine propagandistisch „nützliche“ Sicht, sondern auf die der Konfliktparteien ankommt, sollen die kurz dargelegt werden.
Die Sicht der NATO und der Ukraine
Die „westliche“ Sicht ist sehr einfach: Der Krieg in der Ukraine ist nicht nur ein Krieg gegen die Ukraine, sondern richtet sich gegen die Freiheit der westlichen Länder insgesamt. Jeder Staat, folglich auch die Ukraine, habe dasselbe Recht auf Sicherheit und konkret auch das unbestreitbare Recht, über seine Bündniszugehörigkeit frei zu entscheiden. Russland wolle dies im Fall der Ukraine leider nicht gelten lassen. Daher müsse dieser Anspruch durch strategischen Beistand für die Ukraine mit Gewalt durchgesetzt werden. Zwar wolle man keine NATO-Soldaten schicken, aber Waffen, finanzielle und sonstige Hilfe (z.B. Unterstützung durch Satellitenaufklärung) müsse erlaubt sein und sei nun erforderlich.
Die rechtliche Lage aus russischer Sicht
Dieses Entscheidungs-Recht wird von Russland voll anerkannt. Doch sowohl mündlich (im Zuge der Wende in Ostdeutschland und dem freiwilligen Abzug der russischen Truppen aus vormals sowjetischen Gebieten) als auch schriftlich (zuletzt im Vertrag von Astana), habe sich die NATO verpflichtet, diese Recht nicht in Anspruch zu nehmen, wenn dadurch die Rechte der Gegenseite eingeschränkt werden. Die (Teilnehmer-)Staaten haben sich – nach russischer Lesart – sogar wiederholt schriftlich
verpflichtet, ihre Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheit anderer Staaten zu festigen. Im Klartext: Die NATO-Osterweiterung vom Baltikum bis nach Rumänien sei bereits eine illegale Stärkung auf Kosten der Sicherheitsinteressen Russlands gewesen. Dem US-gesteuerten Putsch in der Ukraine dürfe nicht auch noch die Stationierung von atomar bestückbaren Marschflugkörpern dort folgen, was nach einem NATO-Beitritt nicht mehr zu verhindern wäre. Die NATO-Erweiterung bis in die Ukraine sei folglich nicht nur vertragswidrig und dürfe deshalb verhindert werden, sondern verstoße auch in einem so erheblichen Maß gegen Russlands strategische Interessen, dass sie verhindert werden müsse, wenn Russland keinen Krieg gegen die NATO riskieren wolle.
5.:
Wer hat also den Krieg verursacht? Dürfen die USA bzw. die NATO die (weitere) Ausdehnung erzwingen, obwohl sie der Gegenseite schadet, während dies vertraglich ausgeschlossen war? Oder darf Russland seine strategischen Sicherheitsinteressen durchsetzen und ist der Krieg zur Verhinderung der NATO-Mitgliedschaft der Ukraine quasi erlaubt?
Unsere Antwort ist: „nein“ – für beide Perspektiven. Erstens hatten (und haben) die USA kein Recht, Russland auch nur mit weiterer Ausdehnung zu drohen – egal, ob dies bald zur Diskussion steht oder nicht, weil das (im Fall der Ukraine gut nachvollziehbar) die Sicherheitsinteressen Russlands vertragswidrig beeinträchtigt. Zweitens hat Russland zwar das Recht, für Sicherheitsinteressen zu kämpfen, aber zunächst nur auf dem diplomatischen Parkett, notfalls durch geringfügigere Mittel, etwa Androhung von Wirtschaftssaktionen seinerseits. Ein Angriffskrieg wäre erst – sowohl rechtlich als auch moralisch – vertretbar, wenn konkrete Anzeichen dafür vorlägen, dass die NATO dies tatsächlich umzusetzen begänne. Eine abstrakte Gefahr genügt also nicht als Kriegsgrund. Schon die Drohung damit (ohne konkrete unmittelbar bevorstehende Gefahr) ist völkerrechtlich nicht zulässig. Vergleichbar durften die USA in der Kuba-Krise auch erst mit Krieg drohen, als die Raketen auf dem Weg waren. Die theoretische Möglichkeit alleine, dass die Sowjetunion Raketen auf Kuba stationieren könnte, hätte als Kriegsgrund auch damals nicht genügt.
Fazit: beide Seiten haben Schuld auf sich geladen und sowohl rechtliche als auch moralische Schranken bewusst überschritten.
6.:
Hat Deutschland sich vorbildlich verhalten? Dazu muss man zunächst die Frage beantworten, ob die Bundesregierung einseitig verpflichtet ist, den Willen der USA mitzutragen, die NATO weiter auszudehnen, und ob sie überhaupt die Möglichkeit gehabt hätte, die Lage zu entschärfen. Die Antwort ist: nur Letzteres. Deutschland ist als Bündnispartner nicht verpflichtet, strategische Kalküle der USA stets zu bedienen. Nur im Fall eines Angriffs auf das Bündnisgebiet, der hier nicht vorlag, bestünde eine Beistandspflicht. Im Übrigen hat auch Deutschland sich als UN-Mitglied zur Friedenswahrung verpflichtet. Sowohl juristisch als auch moralisch hätten unsere Politiker die Pflicht gehabt, den Krieg zu verhindern, sofern sie dazu die Möglichkeit hatten. Stellt sich die nächste Frage: hätte Deutschland den Ukrainekrieg verhindern können?
Die Antwort ist ein klares „Jein“. Theoretisch wäre es zwar sehr einfach gewesen. Die NATO kann Beschlüsse nur einstimmig herbeiführen. Deutschland ist NATO-Mitglied. Somit hätte Deutschland nur erklären müssen, eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine im Fall eines entsprechenden Antrags abzulehnen, also die Zustimmung dazu zu verweigern. Das hätte die Bedenken Russlands, dies drohe, entkräftet und es hätte zumindest keinen Angriffsgrund mehr gehabt. Ob Russland trotzdem die Ukraine angegriffen hätte, wird in den Medien unterschiedlich diskutiert. Die US-Propaganda versucht, dies so hinzustellen. In Wahrheit ist dies sehr unwahrscheinlich, weil Kriege ohne ausreichenden oder mit verlogenem Grund auf der Welt nicht gut ankommen. Es hätte wohl zu einer weltweiten Solidarisierung mit der Ukraine in Extremform geführt und Präsident Putin darf unterstellt werden, dass er mit einer neutralen Ukraine ohne atomar bestückbare Marschflugkörper hätte leben können. Die Blöße eines willkürlichen Angriffskriegs hätte er sich kaum gegeben. Auch Deutschland hat also versagt, hat sich vor seiner Verantwortung für den Frieden gedrückt, indem es nichts gegen die Eskalation unternahm, entweder, weil es auf die US-Propaganda hereinfiel oder weil es den Krieg sogar wollte. Wir gehen davon aus, dass Deutschland sich seiner Möglichkeiten, Frieden zu stiften, vielleicht nicht bewusst war. Andererseits kann leider nicht ausgeschlossen werden, dass dies der Regierung vollkommen bewusst war, sie aber im Fall der Verhinderung des Krieges mit dem Zorn der USA rechnete. Das wird man vielleicht in irgendwelchen Memoiren einmal nachlesen können. Tatsache ist, dass auch Deutschland den Krieg verhindern hätte können, dies aber nicht tat. Deutschland heizt lieber jetzt mit Geld und Waffen den Krieg an.
7.:
Zusammenfassend kann man sagen, dass kein involvierter Staat den Krieg rechtzeitig verhindert hat, während ein Interesse der USA daran schlecht bestritten werden kann. Und wo bleibt die Vergleichbarkeit? Man stelle sich vor, das an die USA angrenzende Mexiko hätte in freier Souveränität entschieden, der SCO (Shanghai Cooperation Organisation) beizutreten, der chinesischen Kriegsmarine die Errichtung eines Kriegshafens in Acapulco zu anzubieten, der russischen Luftwaffe den Aufbau einer Airbase in Mexico zu gestatten und die Stationierung russischer sowie chinesicher Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper auf seinem Territorium zu erlauben. Glaubt denn irgendjemand, die USA würden eine derartige „Politik souveräner Bündniswahl“ hinnehmen, ohne mit militärischer Gewalt dagegen vorzugehen?
Siehe dazu auch die diesbezüglichen klaren transatlantischen Überlegungen vor dem Krieg:
https://youtu.be/ablI1v9PXpI
Die Ukraine hat den Fehler begangen zu glauben, die USA könnten sie verteidigen. Russland hat den Preis unterschätzt. Die Ukraine verfügt über modernste Waffen und beste Aufklärungsmittel, sowohl den Cyberspace als auch z.B. Satellitenaufklärung betreffend – zwar nicht aus eigener Kraft, aber durch die Hilfe der USA und (unverhohlen) anderer NATO-Staaten, darunter Deutschland, die sich in diesen Krieg hineinziehen ließen oder dazu genötigt wurden.
8.:
Abschließend stellt sich die Frage, ob durch diesen Krieg eine neue Lage entstanden ist. Dies beantworten wir mit einem klaren „Ja“. Manche sprechen sogar von einer „Zeitenwende“. Zwar sind weder Kriege neu, noch ist es zutreffend, dass Kriege in Europa nun wieder möglich seien, manche behaupten: seit dem Zweiten Weltkrieg, andere: in den letzten 30 Jahren. Das alles ist falsch. Das Neue daran ist, dass Kriege in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg bisher immer nur von NATO-Staaten begonnen wurden. Schon der Krieg der Türkei gegen Griechenland fand ja in Europa statt. Auch der Angriff der USA 1999 auf Jugoslawien erfolgte nicht in China. Aber dass die Ansicht, in Europa Krieg zu führen bzw. führen zu „müssen“, zu „können“ oder wie auch immer, von einem nicht-NATO-Mitgliedstaat vertreten wird, dass diese schreckliche Geisteshaltung sich also nun nicht mehr allein auf NATO-Staaten beschränkt, ist in der Tat neu und (aus Sicht der NATO) somit eine neue Lage. Das Monopol auf Angriffskriege ist 2022 zumindest historisch beendet. Ob das überraschen sollte oder nur eine Frage der Zeit war, weil Kriege bisher viel zu selten von der internationalen Gemeinschaft gescholten wurden, ist dafür unerheblich.
Bleibt zu hoffen, dass sich der Trend zum Völkerrechtsbruch nicht fortsetzt und bald wieder Vernunft und Rechtsachtung die Oberhand gewinnen. Wir begrüßen diesbezüglich die Absicht, in der UN-Vollversammlung eine unmissverständliche Resolution mit der Forderung nach friedlicher Konfliktbeilegung zu formulieren. Nur wenn man dabei aber gleiche Maßstäbe für alle Staaten anlegt, also die russischen Interessen nicht versucht zu ignorieren, wird eine solche Resolution breite Zustimmung finden und Erfolg haben. Die Alternative besteht in sinnlosem Blutvergießen, Angst vor Eskalation, Schädigung der Wirtschaft, unsinniger Erhöhung der Rüstungsausgaben und einer schleichenden Ausserkraftsetzung der UN-Charta sowie anderer Errrungenschaften wie etwa der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Wir treten für Wahrheit, Gleichheit, Frieden und Freundschaft zum Schutz aller Menschen auf diesem Planeten sowie der Umwelt ein und lehnen überflüssige, menschenverachtende militärische Gewalt, von welchem Staat sie auch immer als Problemlösung angesehen werden mag, aus Überzeugung entschieden ab.
Veröffentlicht von Florian Pfaff am Dienstag, März 1st, 2022 @ 11:00AM
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