Positionspapier: Für einen Wandel der NATO
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Unser Grundsatz
Der Arbeitskreis respektiert die Rolle der Bundeswehr als Bestandteil der Verteidigung unserer demokratisch verfassten Gesellschaft auf der Basis des Grundgesetzes und des Völkerrechts.
Wir begleiten kritisch die Politik hinsichtlich des Auftrags der Streitkräfte, deren Bindung an Moral und Gesetze, die Umsetzung des Staatsbürgers in Uniform sowie nichtmilitärische Alternativen der Konfliktbewältigung.
Dieses Positionspapier wurde auf dem 90. Arbeitstreffen am 23.03.2014 in Würzburg verabschiedet. PDF: Positionspapier
Für einen Wandel der NATO
Die NATO, deren ursprünglicher Zweck die kollektive Selbstverteidigung ihrer Bündnispartner gegen potentielle militärische Aggressionen durch Drittstaaten, insbesondere die Mitgliedsländer der Warschauer Vertragsorganisation (WVO) war, hat sich in den mehr als 60 Jahren seit ihrer Gründung im Jahre 1949 grundlegend gewandelt. Nach dem Ende des Kalten Krieges, der Auflösung der WVO und dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich die NATO durch die vereinbarungswidrige Einbeziehung ehemaliger Ostblockstaaten weiter in Richtung Russland vorgeschoben sowie mehr und mehr zu einem global agierenden Instrument westlicher Außenpolitik entwickelt. Die im Artikel 1 des Nordatlantikvertrages eingegangene Verpflichtung, „in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen jeden internationalen Streitfall … auf friedlichem Wege .. zu regeln“, wandelte sich zu einer Praxis wachsender Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten bis hin zur militärischen Intervention. Die NATO erweist sich damit womöglich weniger als Garant denn als Störer des Weltfriedens.
Als aktive und ehemalige Soldaten der Bundeswehr sind wir über diese Entwicklung äußerst besorgt und halten einen grundsätzlichen Wandel der NATO für dringend erforderlich. Insbesondere setzen wir uns für folgende Veränderungen ein:
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Die NATO kann nur dann friedensstiftende Qualität besitzen, wenn sie sich im Sinne des Nordatlantikvertrags von 1949 konsequent als regionale Verteidigungsorganisation verhält und eine enge Kooperation mit anderen regionalen und weltweiten Sicherheitsorganisationen zur Gewährleistung von Frieden und Sicherheit in Europa und der Welt entwickelt.
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Das erfordert seitens der NATO in erster Linie die bedingungslose Anerkennung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen als höchster sicherheitspolitischen Autorität und damit zugleich die vorbehaltlose Akzeptanz der UN-Charta mit dem in ihr verbrieften Selbstbestimmungsrecht der Völker und dem Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten. Es darf nicht zugelassen werden, dass die Vereinten Nationen bzw. der Sicherheitsrat durch eine Instrumentalisierung der Menschenrechte und des Grundsatzes der Schutzverantwortung als Organ zur Durchsetzung der Globalisierung mit militärischen Gewaltmitteln missbraucht werden. Das Völkerrecht darf nicht durch eine Selbstmandatierung der NATO oder einzelner NATO-Mächte ausgehebelt werden.
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Die offizielle Funktion der NATO besteht nach wie vor und unverändert in der Friedenssicherung durch Abschreckung, Entspannung und Abrüstung. Die historischen Erfahrungen und die gewachsene internationale Verantwortung Deutschlands erfordern, dass die Bundesregierung innerhalb der NATO im Sinne der Prävention, Deeskalation und Demilitarisierung von Konflikten wirkt. Ausgehend von den Erfolgen des Entspannungsprozesses in den 80er Jahren gilt es, auch in die NATO die bewährte Kultur der Zurückhaltung bei der Anwendung militärischer Mittel hineinzutragen. Letzteres schließt die Mitwirkung an friedenssichernden Aktionen nach Kapitel VI (sogenannte „Blauhelm“-Einsätze) sowie im extremen Einzelfall die Mitwirkung deutscher Streitkräfte an friedenserzwingenden Militäreinsätzen auf Grundlage des Kapitels VII der Charta der Vereinten Nationen in Verbindung mit einem zwingend erforderlichen völkerrechtlichen Mandat des UN-Sicherheitsrats nicht aus.
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Als aktive und ehemalige Soldaten, die mit der Wirkung moderner Massenvernichtungswaffen vertraut sind, lehnen wir die noch aus den Zeiten des Kalten Krieges stammende Nukleardoktrin der NATO strikt ab. Kernwaffen sind nach wie vor die Hauptbedrohung für die Existenz der menschlichen Zivilisation. Insofern sind nukleare Abrüstung durch die NATO-Kernwaffenmächte (incl. einseitiger Vorleistungen), der offizielle Verzicht der NATO auf einen nuklearen Ersteinsatz sowie der Abzug der taktischen Kernwaffen der USA von deutschem Boden dringend geboten. Priorität für Deutschland haben dabei besonders die unverzügliche Beendigung der Ausbildung deutscher Soldaten an Kernwaffen und der Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe nach dem Vorbild von Kanada und Griechenland.
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Angesichts der gegenwärtigen geopolitischen Auseinandersetzungen um die Zukunft der Ukraine erweist sich das Verhältnis der NATO zu Russland mehr denn je als Schlüsselproblem für die europäische Sicherheit. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, alles zu unternehmen, um die zunehmende Konfrontation zwischen der NATO und Russland abzubauen und alle Kanäle der NATO und der Bundesregierung zu nutzen, um auf die im Lissaboner NATO-Konzept vom November 2010 aufgezeigten und z.T. schon begangenen Wege einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit zurückzufinden. Sicherheit in Europa kann nach wie vor nicht gegen sondern nur mit Russland gewährleistet werden. Deutsche Verantwortung muss sich gegenwärtig vor allem darin beweisen, einen friedlichen und stabilen Ausweg aus der Krise zu ermöglichen.
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Bei der Umorientierung der USA auf den pazifischen Raum ist es angemessen, dass die Europäer ihre Verteidigung in die eigenen Hände nehmen und die Europäische Union als autonom handlungsfähige „Europäische Verteidigungs-Union“ ausbauen, in die gleichberechtigt alle EU-Staaten eingebunden werden. In der weiteren Perspektive sollte diese Verteidigungs-Union für alle europäischen Staaten offen sein. Das schließt durchaus ein, auch über eine europäische Armee nachzudenken und sie als Emanzipation von der amerikanischen Vorherrschaft wie auch als Chance zur Abrüstung nationaler Streitkräfte-Kontingente zu begreifen.
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Im Interesse der europäischen Sicherheit setzen wir uns insbesondere für die Aktivierung und Stärkung der OSZE ein. Das könnte ein wichtiger Schritt zu einem neuen umfassenden europäischen und transatlantischen Sicherheitssystem mit Russlands sein. Die OSZE verfügt als reale und größte Sicherheitsorganisation Europas mit ihren 57 Mitgliedstaaten über alle konzeptionellen und institutionellen Voraussetzungen; sie wurde jedoch von den Hauptmächten der NATO bei der Entfaltung dieser Voraussetzungen nicht unterstützt. Eine Aktivierung und Stärkung der OSZE erfordert insbesondere eine Ausschöpfung der Prinzipien und Instrumente der OSZE zur nichtmilitärischen Streitbeilegung, die Initiierung vertrauensbildender Maßnahmen auf der Grundlage des Wiener Dokuments von 1999 – insbesondere zur Lösung der sogenannten „frozen conflicts“ in Europa -, die Wiederbelebung des Prozesses der Begrenzung konventioneller Streitkräfte in Europa (adaptierter KSE-Vertrag), eine gesamteuropäische Lösung für die Raketenabwehr bzw. gänzlicher Verzicht auf dieses Projekt im OSZE-Bereich.
Im Prozess eines solchen Wandels wird sich erweisen, ob die NATO tatsächlich Element der europäischen und globalen Sicherheit und damit Garant des Weltfriedens sein kann oder sich endgültig überlebt hat und von einem umfassenden System der gemeinsamen europäischen Sicherheit ersetzt werden kann.
Als aktive und ehemalige Soldaten der Bundeswehr und Mitglieder des kritischen Arbeitskreises Darmstädter Signal verstehen wir uns zugleich als Teil der europäischen und weltweiten Friedenskräfte, die aktiv auf einen solchen Veränderungsprozess einwirken wollen.
Das Positionspapier steht hier zum Download als PDF bereit: 20140323_Positionspapier_Für-einen-Wandel-der-NATO_final
Veröffentlicht von mwengelke am Sonntag, März 23rd, 2014 @ 10:37AM
Kategorien: Positionen
Tags: Aussenministerium, Aussenpolitik, Deutschland, NATO, OSZE, Smart Defence
Minderheitsvotum von Jürgen Rose, Margit Pissarek, Ursula und Toni Kilger, Ulfert Kaufmann und Daniel Lücking:
Seit dem Ende des Kalten Krieges wird das politische und militärische Agieren der NATO vornehmlich durch den Unilateralismus der USA, die Wucht ihrer militärischen Machtentfaltung im Verein mit einer völkerrechtsverachtenden Präventivkriegspolitik sowie dem offenen Anspruch auf globale Hegemonie bestimmt. Unter dem nachhaltigen Eindruck dieser Angriffskriegspolitik der „einzigen Supermacht“ wurden mittlerweile Forderungen nach der Schaffung einer autonom handlungsfähigen „Europäischen Verteidigungsunion“ laut, die letztlich auf eine Emanzipation Europas von der durch die NATO garantierten Vormachtstellung der USA hinausliefe. Die Schaffung eines zukunftsweisenden umfassenden Systems gemeinsamer europäischer Sicherheit erfordert im Sinne der aktuell geforderten aktiveren Rolle der Bundesrepublik Deutschland im internationalen System als ersten symbolträchtigen Schritt das vorläufige Ausscheiden Deutschlands aus der militärischen Integration der NATO nach dem Vorbild Frankreich unter Präsident Charles de Gaulle verbunden mit einer dezidierten Hinwendung zu Frankreich im Westen und Polen im Osten.