Positionspapier zur Bundeswehrreform der Regierung Merkel
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Unser Grundsatz
Der Arbeitskreis respektiert die Rolle der Bundeswehr als Bestandteil der Verteidigung unserer demokratisch verfassten Gesellschaft auf der Basis des Grundgesetzes und des Völkerrechts.
Wir begleiten kritisch die Politik hinsichtlich des Auftrags der Streitkräfte, deren Bindung an Moral und Gesetze, die Umsetzung des Staatsbürgers in Uniform sowie nichtmilitärische Alternativen der Konfliktbewältigung.
Dieses Positionspapier wurde am 24.03.2013 auf dem 88. Arbeitstreffen in Olching verabschiedet.
Hier als PDF: 20130324_Positionspapier
Änderung: Am 23.03.2014 wurde auf dem 90. Arbeitstreffen in Würzburg die Position des Arbeitskreis Darmstädter Signal bzgl. der Haltung zur NATO verändert. Eine Suspendierung der militärischen Integration in die NATO-Strukturen (Alternativvorstellungen Punkt 1) war nicht mehrheitsfähig – der Arbeitskreis hat das Positionspapier „Für einen Wandel der NATO“ beschlossen. Dazu gab es ein Minderheitsvotum zur Aufrechterhaltung dieses Punktes.
Zur Bundeswehrreform der Regierung Merkel
Anliegen des Positionspapiers
Das nachfolgende Positionspapier dient in erster Linie dem Selbstverständnis der Mitglieder des Arbeitskreises auf der Basis ihrer festumrissenen und langbewährten Positionen.
Es bildet gleichzeitig die Grundlage für die Öffentlichkeitsarbeit des Arbeitskreises zu der von der Regierung Merkel forcierten Neuausrichtung der Bundeswehr. Insofern gibt das Positionspapier eine Orientierung für ausführlichere Stellungnahmen zu Detailfragen.
- Bewertung der Bundeswehrreform aus der Sicht des Ak DS
Die geplante Neuausrichtung besiegelt den Paradigmenwechsel in Auftrag und Struktur der Bundeswehr seit Ende des Ost-West-Konflikts.
Sie markiert den Abschluss des Wandels von einer Verteidigungsarmee auf Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht zu global einsetzbaren Interventionsstreitkräften aus Freiwilligen und Berufssoldaten.
Dieser Wandel vollzog sich mit der Osterweiterung der NATO und der Orientierung der Allianz auf Kampf- und Stabilisierungseinsätze außerhalb des Bündnisgebietes („Out of Area“) in mehreren Etappen. Wichtigster Einschnitt war dabei die Beteiligung der Bundeswehr an den völkerrechtswidrigen Luftangriffen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien unter dem Vorwand einer sogenannten „humanitären Intervention“ im Jahre 1999.
In den Jahren seit dem Ende der Blockkonfrontation haben sich die Rahmenbedingungen für die Sicherheitspolitik der Bundesregierung und damit auch für die Bundeswehr grundlegend geändert.
- Deutschland ist mit seiner geografischen Lage in Zentraleuropa nur von Verbündeten umgeben. Eine militärische Bedrohung für Deutschland und die uns umgebenden Staaten ist langfristig nicht erkennbar.
- Das internationale Kräfteverhältnis hat sich grundlegend verändert. Die USA sind aus verschiedenen Gründen dabei, ihre Rolle als Welthegemon zu verlieren. Neue globale Akteure wie China, Indien, Russland und Brasilien haben an Einfluss gewonnen. Sie sind strategische Partner der Bundesrepublik und der Europäischen Union. Von ihnen geht auf absehbare Zeit keinerlei militärische Bedrohung für Deutschland und seine Verbündeten aus.
- Die in der NATO verbündeten Industrieländer sind durch eine langanhaltende Wirtschafts-, Finanz- und Währungskrise geschwächt. Damit hat sich zugleich der finanzielle Spielraum aller NATO-Staaten zur Entwicklung ihrer Streitkräfte und für deren Einsatz in Interventionskriegen verengt.
- Gleichzeitig wurde die Anwendung militärischer Gewalt durch die Kriege im Irak, in Afghanistan und in Libyen in der Öffentlichkeit delegitimiert. In den meisten Ländern der EU und der NATO wird eine militärisch instrumentierte Außen- und Sicherheitspolitik durch große Bevölkerungsmehrheiten abgelehnt.
Damit stehen alle NATO-Länder unter dem Druck, ihre Sicherheitspolitik und ihre Streitkräfte den veränderten inneren und äußeren Bedingungen anzupassen. Die grundlegenden Orientierungen für die Neuausrichtung der Bundeswehr sind im Weißbuch der Bundeswehr (2006), in den Empfehlungen der Wehrstrukturkommission (2010), in den Verteidigungspolitischen Richtlinien (2011) und den Reden des Ministers der Verteidigung (März, Juni und August 2012) enthalten. Mit diesen Grundsatzdokumenten haben Bundeswehrführung und Ministerium die Neuausrichtung der Bundeswehr unter Ausschluss der Öffentlichkeit selbst konzipiert.
Der Arbeitskreis Darmstädter Signal sieht mit der in diesen Dokumenten konzeptionell niedergelegten Neuausrichtung der Bundeswehr gefährliche Fehlentwicklungen für Armee und Gesellschaft:
- Der Verteidigungsauftrag wird zu einer leeren Floskel.
In den Mittelpunkt der Neuausrichtung rückt mehr und mehr die Befähigung zur Führung von Interventionskriegen geringer Intensität. Diesem Ziel werden Auftrag, Struktur, Bewaffnung, Ausbildung und Personalentwicklung untergeordnet.
Die Bundesregierung setzt dabei vor allem auf die Fähigkeit zur Anti-Guerilla-Kriegsführung (Counterinsurgency/COIN) mit geringem eigenem Personalrisiko bei hoher Effektivität der Bekämpfung von Punktzielen.
Für die Bundeswehr gilt die Orientierung, bei einer Gesamtstärke von ca. 180.000 Soldaten, ständig 10.000 Soldaten aller Teilstreitkräfte für internationale Kampfeinsätze bereit zu halten, die in kürzester Zeit global einsetzbar sein sollen.
- Der Bündnischarakter der europäischen Streitkräfte wird immer mehr zum Vorwand für eine Teilnahme der Bundeswehr an völkerrechtswidrigen Angriffskriegen genommen.
Mit dem Argument angeblicher Bündnisverpflichtungen erfolgt faktisch eine Unterordnung unter die politische und militärische Strategie der NATO sowie eine Verkoppelung mit den geostrategischen und geoökonomischen Interessen der Bündnisvormacht USA.
Der Auftrag der Bundeswehr wird damit immer weniger werteorientiert sondern vorwiegend interessendominiert.
Unverhohlen werden die Sicherung von internationalen Transport- und Versorgungswegen sowie der Zugang zu Rohstoffressourcen und Absatzmärkten als vorrangige Bündnisinteressen in den Vordergrund gestellt. Das entspricht einer Fortsetzung der im 19. Jahrhundert begonnenen imperialen und kolonialen Politik.
- Da die bestehende nationale und internationale Rechtsordnung dieser Entwicklung entgegenstehen, werden das Grundgesetz der Bundesrepublik und das in der UN-Charta kodifizierte Völkerrecht ausgehöhlt.
Das Friedensgebot des Grundgesetzes wird ignoriert und umgedeutet.
Das Nichteinmischungsgebot der UN-Charta wird systematisch aufgeweicht. Insbesondere die führenden NATO-Staaten sind bestrebt, in potenziellen Zielländern Menschenrechtsverletzungen zu provozieren und zu instrumentalisieren und die sogenannte Schutzverantwortung („Responsibility to Protect“) der Vereinten Nationen zum Völkergewohnheitsrecht für interessendominierte Interventionseinsätze zu machen.
- Gleichzeitig wird die verfassungsrechtlich zwingend gebotene Kontrolle bewaffneter Einsätze der Bundeswehr durch den Deutschen Bundestag als dem höchsten demokratischen Organ des deutschen Volkes unterlaufen.
Mit vorgeblichen Bündniszwängen erhalten supranationale Institutionen wie die NATO oder die Europäische Union die Priorität bei Entscheidungen über die Beteiligung der Bundeswehr an Interventionseinsätzen.
Mit unterschiedlichen Versuchen wie z.B. Vorratsbeschlüssen für Bundeswehreinsätze wird versucht, die ohnehin sehr schwache Parlamentsbeteiligung des Bundestags zu unterlaufen bzw. gänzlich auszuhebeln.
Die Regierung Merkel ist damit bereit, gerade in der existentiellen Frage von Krieg und Frieden nationale Verantwortung und Souveränität zu missbrauchen.
- Mit der Neuausrichtung der Bundeswehr unterliegt auch die innere Verfasstheit der deutschen Streitkräfte einem grundsätzlichen Wandel.
Die Orientierung auf Interventionseinsätze bei gleichzeitigem Übergang zur professionellen Freiwilligen- und Berufsarmee verändert das traditionelle Wertesystem der Bundeswehr.
Im Vordergrund steht nicht mehr das Selbstverständnis des Soldaten als Staatsbürger in Uniform sondern als pflichtbewusster Staatsdiener, der ständig und bedingungslos kampfbereit ist.
Statt Wahrung demokratischer Werte wächst der Einfluss eines militanten bzw. militaristischen Traditionalismus („Kämpferkult“).
Alternativvorstellungen des Ak DS zu einer zukunftsfähigen Bundeswehr
Die im Ak DS organisierten aktiven und ehemaligen Soldaten und Soldatinnen der Bundeswehr setzen der von der Regierung Merkel vorgesehenen Neuausrichtung der Bundeswehr folgende Alternativen entgegen:
- Angesichts einer auf lange Sicht nicht erkennbaren militärischen Bedrohung orientiert sich die Bundeswehr mit ihren Bündnispartnern am Grundsatz einer unabdingbaren Verteidigungsvorsorge auf technologischem Niveau. Eine Reformierung der Bundeswehr erfolgt damit ausschließlich als Verteidigungsarmee im Bündnis.
Die Bundeswehr beteiligt sich nicht an internationalen Kampfeinsätzen. Auslandseinsätze der Bundeswehr sind nur für humanitäre Hilfsmaßnahmen bzw. als Peacekeeping-Aktionen v.a. nach Kapitel VI und VII der UN-Charta mit einem Mandat des Sicherheitsrats zulässig.
Die Bündnisverpflichtung darf nicht für Interventionseinsätze (sogenannte „Non-Article 5 Operations“) gelten. Die Bundesrepublik Deutschland suspendiert daher nach dem Vorbild Frankreichs unter General Charles de Gaulle ihre militärische (nicht die politische!) Integration in die NATO-Strukturen. Sie beteiligt sich auchnicht an dem von den USA geführten sogenannten „Krieg gegen den Terror“.
Damit wäre auch eine Beteiligung der Bundeswehr an der Vorbereitung und Durchführung von sogenannten „extra-legalen Tötungen“ ausgeschlossen.
Die Personalstärke der Bundeswehr bemisst sich ausschließlich an den Erfordernissen einer unabdingbaren Verteidigungsvorsorge im Bündnis. Die momentan geplante Soll-Stärke von 180.000 Soldaten stellt daher noch nicht die untere Grenze des Personalbestands dar.
- Der Auftrag der Bundeswehr folgt strikt dem Friedensgebot des Grundgesetzes und dem Nichteinmischungsgebot der UN-Charta sowie den bestehenden gesetzlichen Regelungen des nationalen und internationalen Rechts zur Bewahrung und Gestaltung friedlicher Beziehungen zu allen Staaten und einer Demilitarisierung von Konflikten.
Insofern lehnt der Ak DS jede Aufweichung des Grundgesetzes und der UN-Charta zur Legalisierung von Interventionskriegen kategorisch ab.
Dies gilt insbesondere für jedweden Versuch, die universellen Menschenrechte unter dem Vorwand der sogenannten Schutzverantwortung („Responsibility to Protect“) militärisch zu instrumentalisieren.
Die Kontrolle des deutschen Bundestages sowie des Europäischen Parlaments über sicherheitspolitische Fragen und die militärischen Potentiale muss gestärkt werden.
Die Parlamentsbeteiligung des Bundestages ist weiter zu stabilisieren bis eine adäquate Regelung für das Europäische Parlament geschaffen ist.
Für alle die Bundeswehr betreffenden Fragen ist eine strikte Legalität zu wahren. Der Aufbau einer besonderen Militärjustiz steht diesem Ziel entgegen.
- Eine alternative Bundeswehrreform muss den Weg für eine atomwaffenfreie Welt öffnen.
Dazu gehört als einer der ersten Schritte der völlige Verzicht auf die Lagerung von Atomwaffen auf deutschem Boden. Die Ausbildung von deutschen Flugzeugbesatzungen und Bedienerpersonal für strategische sowie taktische Nuklearwaffeneinsätze einschließlich Munition aus abgereichertem Uran (Depleted Uranium/DU) wird endgültig eingestellt.
Deutschland setzt sich innerhalb und außerhalb der NATO für einen generellen Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen ein.
- Für das soldatische Selbstverständnis bleiben die Prinzipien der Inneren Führung und dasLeitbild des Staatsbürgers in Uniform unverändert gültig.
Frieden ist weiter der Ernstfall. Insofern ist die bestehende zentrale Forderung zur Neuausrichtung der Bundeswehr „vom Einsatz her denken“ der falsche Ansatz. „Vom Frieden her denken“ muss in der neuen Bundeswehr verinnerlicht werden!
Die wichtigsten Werte für den Soldaten der Bundeswehr als Staatsbürger in Uniform sind Wahrung der Menschenwürde, Demokratie, Freiheit und strikte Rechtsbindung.
Ein auf Erfahrungen der deutschen Wehrmacht beruhender Traditionalismus darf nicht wertebestimmend sein. Die Pflichten des deutschen Soldaten erlangen sittlichen Rang allein durch die Bindung an das Grundgesetz.
Kämpferkult und „stille Profikiller“ konterkarieren das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform.
Die Entwicklung der Bundeswehr muss Anliegen der gesamten Gesellschaft sein und darf nicht ausschließlich den Militärs überlassen werden. Der Ak DS fordert daher eine offene Debatte mit allen gesellschaftlichen Kräften über Auftrag, Stärke, Struktur und innere Verfasstheit der Bundeswehr. Der Ak DS setzt sich dabei für eine demokratische und friedensorientierte Alternative zu der geplanten Neuausrichtung der Bundeswehr ein.
Veröffentlicht von mwengelke am Sonntag, März 24th, 2013 @ 11:22AM
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